Proben am »Broadyway am Rhein«: Das Bauturm-Theater in der Volksbühne am Rudolfplatz, Foto: Gerlando Alfeo

»Ich wollte, ich wäre zwei kleine Hunde«

Die Freie Volksbühne Köln feiert ihr Jubiläum mit Anna Gmeyners »Automatenbüffet«

Wie angeknipst ist Laurenz Leky. Mit lauter Stimme spricht er, den Oberkörper etwas nach vorne geneigt auf seinem Stuhl, wie ein lauerndes Tier. Für den Schauspieler und Bauturm-Theaterleiter geht es um etwas: Er präsentiert seine Vision vom »Broadway am Rhein« vor der Presse, die sich in der Belle Etage des Salon Schmitz versammelt hat. Seine Euphorie steckt an, seine Idee, zusammenzurücken, sich zu vernetzen, gerade in diesen Zeiten ist erquickend: die Freie Volksbühne, das Theater im Bauturm und die Volksbühne am Rudolfplatz, allesamt in der Nachbarschaft der Aachener Straße beheimatet, als kreativer Umschlagplatz der Stadt.

Natürlich beherrscht Laurenz Leky diese Art der Selbstinszenierung, es ist ja sein Beruf. Und doch spricht aus seinem Blick noch etwas anderes: Eifer. Da brennt jemand für seine Sache. Lekys Rede gibt manches von der Stimmung wieder, die dieser Tage um die drei Theaterinstitutionen auf der Aachener weht. Denn zum 100jährigen Jubiläum der Freien Volksbühne Köln will man sich nicht lumpen lassen, da wird etwas aufgefahren. Ein großer Festakt am 27. März, zu dem Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen und Iris Laufenberg, Intendantin des Schauspielhauses Graz, erscheinen werden, Sekt und Häppchen inklusive. Ein Straßenfest am 7. August, bei dem die Theaterhäuser ihre Pforten öffnen, mit Ange­boten der hiesigen Gastronomie,  Straßenkunst und Angeboten für Kinder — und der Premiere des Stückes »Automatenbüffet« von Anna Gmeyner.

Im März 1922 wurde die Freie Volksbühne in Köln gegründet. Als Teil einer Bewegung, die bereits drei Jahrzehnte zuvor ihren Anfang genommen hatte, genauer: am 23. März 1890, als im Berliner Volksblatt ein Aufruf unter dem Motto »Die Kunst dem Volke!« veröffentlicht wurde. Die Freie Volksbühne trat mit dem Ziel an, das Theater für die Arbeiterklasse zu öffnen. Oder wie es Mitbegründer Bruno Wille sagte: »Die Kunst soll dem Volke gehören, nicht aber Privilegium eines Teils der Bevölkerung, einer Gesellschaftsklasse sein.« Ein Sitzplatz am arbeitsfreien Sonntag kostete damals 50 Pfennig, gezeigt wurden neben Klassikern von Goethe und Schiller auch aktuelle, kritisch-naturalistische Stücke. Die Mitgliederzahlen stiegen, 1913, als man mit dem Bau eines eigenen Hauses, der Berliner Volksbühne am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz, begann, war der Verein bereits auf 70.000 Mitglieder angewachsen. Zur Zeit der Weimarer Republik verdoppelte sich ihre Anzahl sogar noch.

»Kunst für Alle« ist auch heute noch das Motto der Freien Volksbühne Köln, die gefördert vom städtischen Kulturamt Abonnements für Theater, Oper, Musik, Kabarett, Bildende Kunst und Stadtgeschichte anbietet. Mit rund 180 Euro für vier Veranstaltungen dürfte dieses Angebot für viele Menschen leider noch immer nicht erschwinglich sein, aber die Tickets sind im Abonnement zumindest günstiger. Im »Colonia-Haus«, ehemals Heimat des Millowitch-Theaters, sitzt der Verein heute, nachdem er 1933 von den Nazis verboten wurde.

»Europa ist ein Pulverfass, in das jeden Moment der zündende Funke fallen kann«, schrieb ein Jahr zuvor die in Wien geborene, jüdische Schriftstellerin Anna Gmeyner. 1932 wurde ihr Stück »Automatenbüffet« in Wien uraufgeführt, ein Stück, in dem der Spießbürger Leopold Adam die lebensmüde Eva vor dem Ertrinken rettet und sie in das Schnell-Restaurant seiner Frau mitnimmt, das Automatenbüffet. Hier gibt es Würstchen, Bier und Musik auf Knopfdruck, hier treffen sich die Bewohner der Kleinstadt: Vom Apotheker bis zum Lehrer, vom Stadtrat bis zum Anglerverein sind alle vertreten. Doch Eva bringt die soziale Ordnung der Spießbürger ins Wanken.

»Gmeyners ›Automatenbüffet‹ ist nicht so konkret und aufrührerisch wie ihre früheren Texte, eher ein Stück der Nebensatz-Politik«, sagt René Michaelsen vom Theater im Bauturm. Er begleitet als Dramaturg, zusammen mit Regisseurin Susanne Schmelcher, die Arbeit am Stück. Michaelsen sagt, es »oszilliere zwischen komischen, vordergründigen Effekten und einer sozialkritischen Ausrichtung«. Genau deswegen habe man es für das Jubiläumsjahr ausgewählt. Denn bei der Antifaschistin Anna Gmeyner, die vor den Nazis ins politische Exil fliehen musste, wird satirisch die Zerrissenheit der Figuren dargestellt, wird die Fahne des Anglervereins beschmutzt und penibel mit Benzin gereinigt, fliegen Bierkrüge bei Großpolitiker-Gebahren durch die Luft. Immer wieder gibt es zarte, poetische Momente, etwa wenn Eva in ihrer Weltverlorenheit sagt: »Ich wollte, ich wäre zwei kleine Hunde und könnte miteinander spielen.«

Die Premiere vom »Automatenbüffet« war 1932 einer der letzten, schon verzweifelten Aufschreie des Theaters, dann verschwand der Text in der Vergessenheit. »Ich hatte selten so ein klares Gefühl der Wiederentdeckung«, sagt René Michaelsen bei einer kurzen Pause von der Probe, zum ersten Mal an diesem Tag auf der großen, geschichtsträchtigen Bühne des Volkstheaters am Rudolfplatz. »Jetzt gilt es diesen Raum mit Spielfreude zu füllen.«

Volksbühne am Rudolfplatz
Premiere: 12. 3., 19.30 Uhr,
13.3., 14:30 & 19:30 Uhr
28. & 29.3., 19.30 Uhr