Penélope Cruz und Milena Smit: Gemeinsames Schicksal

Parallele Mütter

Almodóvar verwebt die Geschichte weiblicher Solidarität mit Spaniens Bürgerkriegstrauma

»Die menschliche Geschichte weigert sich, den Mund zu halten« heißt es im Abspann von Pedro Alomodóvar »Parallele Mütter«. Im Kern geht es in dem vielschichtigen Melodram des 72-jährigen Regisseurs um das Recht jedes Menschen, zu wissen, woher er kommt. Sei es zu erfahren, wer die leiblichen Eltern sind, oder herauszufinden, wo die Vorfahr*innen begraben wurden. In dem Zusammenhang ist es eine interessante Kapriole des Schicksals, dass Instagram und Facebook das spanische Plakat des Films, das die Brustwarze einer Stillenden zeigt, im Vorfeld zensiert haben. Dabei gehört doch wohl auch die mütterliche Brustwarze, die so ziemlich das erste ist, was man erblickt, wenn man geboren wird, so untrennbar zu unserer Geschichte, wie das rücksichtslose Profitstreben zum Kapitalismus.

Die Babys von Enddreißigerin Janis und der minderjährigen Ana — gespielt von Almodóvar-Muse Penélope Cruz und Entdeckung Milena Smit —, die sich im Krankenhaus miteinander angefreundet haben, werden nach ihrer Geburt allerdings erst einmal nicht gestillt, sondern müssen kurzfristig auf eine Beobachtungsstation.

Der Vater von Janis’ Baby ist Arturo (Israel Elejalde), ein forensischer Anthropologe, den die Fotografin bei einem Shooting kennengelernt hat. Er sollte ihr nur helfen, die Aushebung eines Massengrabs in ihrem Heimatdorf voranzutreiben. Janis’ Großvater wurde nämlich Opfer der General Franco nahestehenden Falangisten, die während des Spanischen Bürgerkriegs über 100.000 Widerständ­ler*innen ermordeten. Almodóvar nutzt aber glücklicherweise diesen Nebenstrang nicht als dramaturgischen Vorwand, um Janis’ Schwangerschaft zu erklären, sondern verflicht im Verlaufe des Films die tragische Geschichte der parallelen Mütter und das unaufgearbeitete, spanische Kriegstrauma sehr geschickt.  

Die ungleichen Mütter, die zur oberen Mittelschicht gehören, müssen sich finanziell keine Sorgen machen. Doch das Schicksal spielt ihnen einen bösen Streich, und Janis verschweigt Ana lange eine schmerzliche Wahrheit. Wegen dieses hochemotionalen Aspekts der Geschichte läuft das Melodram Gefahr in die seichten Gewässer der Telenovelas abzudriften. Doch dem Regie-Altmeister  gelingt dadurch nebenbei eine großartige Studie über weibliche Solidarität. Das verlogene Schweigen muss gebrochen werden, damit das Leben weiterfließen kann — egal, ob es sich um zwei Freundinnen oder die Wahrheit über die Opfer der Franco-Zeit handelt.

E 2021, R: Pedro Alomodóvar, D: Penélope Cruz, Milena Smit, Israel Elejalde, 123 Min., Start: 10.3.