Baby Star und Lady Candy: Rücken an Rücken

Luchadoras

Paola Calvo und Patrick Jasim zeigen den alltäglichen Kampf mexikanischer Ringerinnen

Maskierte Freistilringer sind ein mexikanisches Phänomen. Im Kern lässt sich Lucho Libre gut mit der US-Wrestling vergleichen, aber im Willen zur großen volksmythologischen Erzählung bleibt diese Form des Kampfsports eigen. In Mexiko geht es oft um Erbfeindschaften und Bündnisse über Generationen hinweg, die von Woche zu Woche in den Arenen des Landes weiter gesponnen werden — von Tempeln wie der Arena México bis zu halb improvisierten Ringen im Hinterland. Zu dieser Welt gehören auch Kampf-Performer, die den wild wuchernden Männlichkeitswahn fröhlich unterwandern: von den mini-estrellas (kleinwüchsige Ringer, die manchmal als Double eines berühmten Luchador auftreten und diesen unterstützen) bis hin zu den exóticos (Ringer-Drag-Queens).

Was man in diesem Sport-Zirkus kaum findet, sind weibliche Ringerinnen. Aber es gibt sie, und es hat sie immer gegeben, auch wenn sie in einigen Bundesstaaten Mexikos jahrzehntelang nicht auftreten durften — weshalb die we­­nigen Filme mit ihnen wichtig waren in jener Zeit, um den Frauen wenigstens per Leinwand Präsenz zu verschaffen. René Cardonas gerade erst restaurierter »Las mujeres panteras« (1967) ist ein gutes Beispiel.

Paola Calvos und Patrick Jasims Doku »Luchadoras« erzählt nun von drei Frauen, die versuchen, durch Lucha Libre zu einer besseren Existenz zu finden. Sie leben in der Grenzstadt Ciudad Juárez, wo dank NAFTA und Drogenkartellen der neoliberale Kapitalismus mal mehr, mal weniger legaler Art tobt. Sämtliche Frauen haben das längst am eigenen Leib erfahren als ausgebeutete Arbeiterinnen in den Montagebetrieben, wo US-Firmen billig Produkte zusammensetzen lassen. Oft wurden sie auch Zeuginnen und mitunter Opfer allgegenwärtiger Gewalt. Sich in Kunstfiguren wie Lady Candy, Baby Star, und Mini Sirenita zu verwandeln, bietet ihnen neue Perspektiven und ein neues Selbstbild. In gewisser Hinsicht machen sie dabei ihr tägliches Ringen mit den Dingen zum Beruf. Mit ihren Darbietungen  können sie dem Publikum Geschichten erzählen — ihre eigenen Geschichten und die der vielen, denen es genauso ergeht.

Dass die Anliegen der Filme­macher*innen richtig und gerecht sind, ist eine Sache, dass man we­­niger sentimental an die Geschich­te(n) herangehen kann, eine andere. Wenn man den etwas übereifrig wohlmeinenden Ton ignoriert und sich auf Lady Candy, Baby Star, Mini Sirenita und ihre konkrete Umgebung konzentriert, ist »Luchadoras« dennoch ein sympathisches Werk — auch weil es vom Vertrauen in die Popkultur handelt.

D/MEX 2021, R: Paola Calvo und Patrick Jasim, 92 Min., Start: 10.3.