Joaquin Phoenix und Woody Norman: Familie ist Familie

C’Mon C’Mon

Mike Mills’ Roadmovie befragt Familiendynamiken — melancholisch aber nicht sentimental

Johnny (Joaquin Phoenix) ist ein seltener Schlag von Radiomoderator. Keiner dieser Dampfplauderer, sondern einer, der lieber anderen zuhört als sich selbst. Damit ist er beruflich recht erfolgreich, er reist durchs Land und befragt Jugendliche auf Augenhöhe über ihre Träume und Erwartungen und bekommt immer wieder erstaunlich offene und ehrliche Antworten. Doch bei der Kommunikation im Privatleben versagt Johnny. Mit seiner Schwester Viv (Gaby Hoffman) hat er seit einem Jahr nicht gesprochen, abgekühlt ist das Verhältnis zwischen den beiden schon weit länger. Am Jahrestag ihrer verstorbenen Mutter ruft er doch mal an und erklärt sich spontan bereit, von New York nach Los Angeles zu kommen, um auf Vivs neunjährigen Sohn Jesse (Woody Norman) aufzupassen, während sie für einige Zeit die Stadt verlassen muss. Paul (Scoot McNairy), der Vater ihres Kindes, hat psychische Probleme und sie versucht, ihm bei einer bipolaren Episode beizustehen.

Aus Johnnys und Jesses Gesprächen, ihren gemeinsamen Erlebnissen, den Telefonaten mit Viv und kleinen Momenten, in denen diese durch Pauls psychische Probleme herausgefordert ist, knüpft Regisseur Mike Mills sehr behutsam und einfühlend ein Geflecht komplexer und komplizierter Beziehungen. Johnny nimmt den Jungen mit auf seine Interviewreisen, von L.A. nach New York, schließlich New Orleans, aus dem wenig bekannten Onkel wird bald eine Art Ersatzvater — und der nach einer langen Beziehung wieder alleinstehende Mittvierziger lernt, was es bedeutet für ein Kind verantwortlich zu sein. und wie schwierig es ist, immer die richtigen Entscheidungen zu treffen. Jesse ist ein aufgewecktes, erstaunliches, lebenskluges Kind, wirkt aber nicht neunmalklug oder ausgedacht. Das liegt auch an dem herausragenden Newcomer Norman, der mit Phoenix so natürlich agiert, als ob die Kamera gar nicht da wäre. Die sich vertiefende Bindung zwischen ihren Charakteren ist das Herz dieses vielschichtigen, behutsam erzählten Films.

Dabei standen Familiendynamiken immer wieder im Fokus von Mills’ stets selbstgeschriebenen Spielfilmen. In »Beginners« (2010) und »Jahrhundertfrauen« (2016) spürte er dem Verhältnis zu seinen eigenen Eltern nach. »C’Mon C’Mon« ist nun von der Beziehung zu seinem Sohn inspiriert. In melancholischen Schwarzweißbildern verbindet Mills seine Erfahrungen zu einem empathischen Roadtrip über das Elternsein, gegenseitiges Zuhören und darüber, was Erwachsene von Kindern lernen können. Lakonisch und berührend ehrlich, ohne ins Sentimentale abzugleiten.

USA 2021, R: Mike Mills, D: Joaquin Phoenix, Woody Norman, Gaby Hoffman, 109 Min., Start: 24.03.