Die Verbote ­treffen über­wiegend junge Menschen, deren Bedürfnisse selten Priorität haben

Die neue Superwaffe

Egal, ob bei Betrunkenen, bei Gewalttaten oder bei Tabakresten von Shisha-­Pfeifen. Sobald Polizei und Verwaltung ein Problem im öffentlichen Raum ausmachen, zücken sie ihre Superwaffe: das Verbot. Lassen sich diese Verbote überhaupt durchsetzen oder führen sie gar zu neuen Konflikten?

Endlich haben Köln und Düsseldorf mal etwas gemeinsam. Die Kölner Ringe und die Zülpicher Straße gehören neben der  Düsseldorfer Altstadt zu den ersten Waffenverbotszonen in Nordrhein-Westfalen. Eines der dazugehörigen Verbotsschilder schraubte NRW-Innenminister Herbert Reul in Düsseldorf kurz vor Weihnachten persönlich an. »Ganz ehrlich: Zum Feiern braucht man keine Waffen«, sagte der Law-and-Order-Mann der CDU vor den anwesenden Journalist*innen. Das klingt gnadenlos einleuchtend, ist aber ebenso gnadenlos vereinfacht. In der zweiten Januarwoche, keine drei Wochen später, diskutierte die Kölner Politik über ein Alkoholverbot für die Feiermeilen der Stadt, ein weiteres Verbot, mitten in einer Pandemie, die uns ohnehin zahlreiche neue Regeln im Stadtraum beschert hat.

Schutz vor dem Virus und Schutz vor Gewalt: Wie viele Regeln und Verbote braucht der öffentliche Raum, damit wir uns sicher fühlen? Und wann droht die Unbeschwertheit zu verschwinden, die das Leben auf den Straßen und Plätzen einer Großstadt ausmacht?

Eine Antwort wird kaum eindeutig ausfallen können. Die Diskussion um das Alkoholverbot, angestoßen von Stadtdirektorin Andrea Blome, hat immerhin eine klare Grenze aufgezeigt. Außer der CDU, die Blome im vorigen Jahr für ihren Posten nominiert hatte, konnte sich kaum jemand für den unabgestimmten Vorstoß erwärmen. Eine »Schnapsidee« nannte ihn SPD-Fraktionschef Christian Joisten. Auch die Bündnispartner der CDU gingen auf Distanz. »Das wird nicht passieren. Das passt nicht zu Köln«, sagt Manfred Richter, in der Grünen-Fraktion für Ordnungspolitik zuständig. Die Volt-Fraktion sprach von »Law-and-Order-Aktionismus«. Eine Vorlage oder einen Antrag im Stadtrat gab es bislang nicht.

Die Umsetzung eines Alkoholverbots gilt als schwierig, Versuche in anderen Kommunen sind vor Gericht gescheitert. Deren Spielraum in Sicherheitsfragen ist generell begrenzt, denn Polizeiarbeit ist Landessache. Deshalb hatte sich Blome mit ihrem Vorschlag auch auf eine Initiative des Düsseldorfer Oberbürgermeisters Stephan Keller (CDU) bezogen. Keller, zuvor Stadtdirektor in Köln und damit Blomes Vorgänger, hatte in einem Brief an Innenminister Reul ein Alkoholverbot für den öffentlichen Raum in der Düsseldorfer Altstadt in den Nächten am Wochenende gefordert. Die Landesregierung von CDU und FDP müsste dafür die Grundlage schaffen, wie zuvor etwa für die Videoüberwachung in Köln und für die Waffenverbotszonen.

Die Polizei, so heißt es, würde sich ebenfalls ein Alkoholverbot für die Ausgehmeilen wünschen. Aus ihrer Perspektive mag die Kölner Silvesternacht 2015 nachwirken als Versagen des Staates, der seine Bürger nicht schützen konnte. Dazu kamen latente Terrorgefahr und die organisierte Kriminalität, der ihr oberster Dienstherr Reul als »Clankriminalität« den Kampf angesagt hatte. Die Strategie in diesem Kampf besteht vor allem aus Kontrollen und Verboten. Man möchte den öffentlichen Raum »zurückerobern«, Null Toleranz, Präsenz zeigen.

Andere sehen die Ausweitung der polizeilichen Befugnisse kritisch. Denn was für die einen das Sicherheitsempfinden erhöht, kann für andere das Gegenteil bewirken, durch Racial Profiling, durch den Druck, sich so zu verhalten, dass man keinen Anlass für polizeiliche Kontrollen bietet. Oder es führt dazu, die ausgewiesenen Bereiche gleich ganz zu meiden.

Um die Eingriffe zu rechtfertigen, sollen die Gefahr konkret und die Maßnahmen effektiv sein, so argumentieren die Gerichte. Reul versprach durch das Waffenverbot »einen enorm beruhigenden Effekt auf die schwie­rigen Ecken in Düsseldorf und Köln«. Hintergrund waren mehrere Auseinandersetzungen, zwei davon tödlich, in der Düsseldorfer Altstadt und an der Zülpicher Straße. In einem Fall war eine abgebrochene Flasche die Tatwaffe, in den anderen Fällen setzten die Täter Messer ein. Darauf zielen die Verbotszonen: Messer mit feststehenden Klingen ab vier Zentimetern, aber auch Reizgas, Elektroschocker und andere Waffen, die sonst erlaubt sind, sind hier verboten. In den ersten vier Wochen kontrollierten die Kölner Polizisten genau 100 Menschen. Das teilt die Polizei auf Anfrage mit. ­Sieben Messer und »drei sonstige Waffen« wurden ein­gezogen. Unklar ist noch, wie mit Reizgas umgegangen wird, das häufig Frauen zur Selbstverteidigung mit sich führen.

In der Kölner Politik sind die Zonen fast unumstritten. Güldane Tokyürek, Sprecherin der Linksfraktion im Rat, sieht das anders. »Menschen verletzen und töten andere nicht deshalb, weil sie zufällig ein Messer dabei haben«, sagt sie. Nicht das Messer sei das Problem, sondern die »psychische Verfasstheit der Täter, auch ihre toxischen Männlichkeitsvorstellungen«. Ein Messerverbot beende die Debatte und führe zu nichts.

Udo Behrendes, ehemaliger Leiter der Inspektion Innenstadt der Kölner Polizei, schätzt das ähnlich ein. Verbote verlagern das Problem, statt es zu lösen. Ziel sei zwar, aggressives Verhalten im Vorfeld zu unterbinden. Erreicht werde aber mitunter das Gegenteil. Denn neue Verbote schaffen neue Kontrollsituationen und führen mitunter zu neuen, teilweise unnötigen Konflikten. »Wo viele sich zu unrecht kontrolliert fühlen, entsteht ein stärker konfrontatives Klima im öffentlichen Raum«, sagt Behrendes. Er beobachtet »insgesamt eine Zunahme der repressiven Elemente der Polizeiarbeit« zu Lasten der dialogorientierten, der mühsamen Kooperation mit Ordnungsdienst, Sozialarbeitern, Anwohnern, Kioskbesitzern und »der Feierszene selbst«. Eine Entwicklung, die auch von Faktoren außerhalb der Stadtpolitik getrieben sei: »Köln schwimmt mit«, sagt Behrendes und sieht in den jüngsten Maßnahmen eher Aktionismus. 

Ratsmitglied Tokyürek sieht ein weiteres Problem. Betroffen seien vor allem Jüngere: »Die Konflikte entzünden sich am Ausgeh- und Feierverhalten meistens junger Leute. Und das ändert sich gerade«, sagt sie. Es verlagere sich nach draußen. Sie freut sich über die sozial durchmischten »unkommerziellen Räume«, die so entstünden. Ihre Fraktion plädiere dafür, die Mitarbeiter des Ordnungsdienstes einzusetzen, um Regelverstöße zu ahnden, mit Sozialarbeitern an den Ursachen anzusetzen und die Polizei bei tatsächlicher Gefahr hinzuzuziehen. Ein Alkoholverbot hält sie für wirkungslos, es bestrafe auch all jene, die sich an die Regeln halten.

Felix Spehl, mit 24 Jahren jüngstes Mitglied der CDU-Fraktion und Sprecher im für Ordnungsfragen zuständigen Ratsausschuss, spricht sich dagegen für ein räumlich und zeitlich begrenztes Alkoholverkaufsverbot aus. »Es geht ja um besondere Orte, wo wir auch besondere Maßnahmen brauchen«, sagt er. Die Zülpicher Straße, aber auch die Ringe seien Orte, wo ein solches Verbot helfen könne. Spehl vertraut auf die Professionalität von Polizei und Ordnungsdienst, auf einen »soliden Anteil« von Menschen mit Migrationsgeschichte unter ihnen und auf wirksame Vorgaben wie das Diskriminierungsverbot, um zu verhindern, dass die Kontrollen zu mehr Konflikten führen. Und: Die Verbote dürften grundsätzlich nur so lange wie nötig gelten. »Wenn sich alle daran halten, dann können sie auch schnell wieder aufgehoben werden«, sagt er.

Ganz anders Tokyüreks Ansatz: Antworten auf eine immer komplexer werdende Gesellschaft seien die Verbote nicht. Sie nennt als Beispiel das »unsägliche Shisha-Verbot« auf den Treppen des Rheinboulevards, erlassen wegen angeblicher dauerhafter Rückstände, die Kohle und Tabak auf dem Beton hinterlassen. Tokyürek hält das für vorgeschoben. »Wir müssen jungen Menschen beweisen, dass wir ihre Bedürfnisse bis zu einem gewissen Grad wahrnehmen und akzeptieren. Dann sind sie viel eher bereit, Regeln zu akzeptieren.« Sie hofft, dass sich die Menschen nach der Pandemie unbeeindruckt zeigen und sich die Räume zurückholen. »Sie möchten keine Verbote mehr«, ist sich Tokyürek sicher, »sie wollen nicht mehr ständig überlegen, was man tun darf und was nicht«.