Immer Ärger mit dem Volk: Laibach auf der Bühne, Foto: Valter Leban

Der Engel der Verzweifelung

Laibach vertonen Heiner Müller — endlich? Oder: bitte nicht?

Genossen, einen herzlichen Gruß nach Ljubljana, aber kommt ihr mit euren Heiner-Müller-Adaptionen nicht 25 oder gar 30 Jahre zu spät? Heiner Müller wird ja immer noch und vor allem: immer wieder gelesen. Sein dramatisches, lyrisches und — gerade neu entdeckt — essayistisches Werk hat sich als erstaunlich geschmeidig und offen erwiesen und gleichzeitig als hartnäckig und antagonistisch herausgestellt. Heiner Müller (1929–1995), einziger Weltstar-Autor der DDR, ist immer Kommunist geblieben, wenn auch ein schon früh bis über den Sarkasmus hinaus enttäuschter. Heute versteht man das wieder, liest seine Texte als Kritik des Kapitalismus und als Auseinandersetzung mit dem Versagen der deutschen Arbeiterklasse. Müller — der zynische Apologet des bluttriefenden Vaterlandes: diese schwülstige Lesart ist zum Glück verschwunden.

Aber jetzt kommen Laibach, die einst im zerfallenden Jugoslawien ein ähnliches Kritikprogramm entfalteten wie Müller in der DDR (sie vertonten ihn bereits 1984) und die heute jeder kennt für ihre sardonischen Kommentare zu Nation und Volk: Befördern sie mit ihren Müller-Adaptionen den Dichter wieder zurück in schwarze Romantik und Berlinkitsch? Irgendwie schon. Da wird geknurrt, geraunt und geschluchzt, die Musik stampft und hämmert, ein einziges Zähnefletschen und Gurgeln mit Reißzwecken, effektsicher unterbrochen von Kinderzimmermelodien. Wenn Sänger/Sprecher Milan Fras sich durch die Müller-Texte fräst und sein Baritonschnarren loslässt (»Ich bin drrrrr Ääängel drrr Verrrrzweiflung«), meint man, mit einem verkaterten Till Lindemann im Zoom-Meeting zu sitzen und über das Berlin der frühen 90er Jahre zu plaudern.

Laibach haben ihre Müller-Lieder schon vor zwei Jahren zu einer Art Theaterabend verschnürt, gehen damit pandemiebedingt erst jetzt auf Tour und legen dazu die Stücke auf Tonträger vor. Man schüttelt den Kopf und kann sich einer ge­­wissen Bewunderung nicht entziehen: Wenn Laibach es krachen lassen, dann so richtig. Mögen sie die aufrichtigen Linken sein, die sie immer gewesen sein wollen, in ihrer Musik lassen sie keine Doppelbödigkeit zu. Sie kosten die ­bitter gewordenen, verbitterten Utopien des 20. Jahrhundert bis zum letzten Tropfen aus.

Und wer weiß — Europa steht in der Ukraine am Rande eines großen Krieges, auch in Laibachs Nachbarschaft, in Bosnien-Herzegowina, rasseln wieder die Waffen, dann wären Laibachs neuerliche Untergangsprophezeiungen plötzlich zeitgemäß. Schrecklich. Heiner Müller, sicher, passt dazu, oder vielmehr: ein Heiner Müller. Denn er wird, darauf sei noch mal insistiert, heute anders gelesen, und das ist zukunftsweisender.

Tonträger: Laibach, »Wir sind das Volk« (Mute), erscheint am 25.3.