Konrad Kraft: Ich erinnere mich an eine Zeit, in der jede Band ihren eigenen Sound entwickelte

Die Angstgefühle des kalten Krieges

35 Jahre alt und topaktuell: Konrad Krafts »Accident in Heaven«

Nicht erst seitdem der Londoner Musikjournalist Simon Reynolds die »Retro Mania« ausgemacht hat, besteht ein reges Interesse daran, vergangene Epochen systematisch aufzuarbeiten und Einflusslinien frei zu legen. So haben sich Labels wie Music for Memory, RVNG Intl. oder Dark Entries darauf spezialisiert obskure, übersehene und nicht mehr (günstig) verfügbare Aufnahmen aufzubereiten und einer neuen Generation, die sich für die Soundspuren aus vergangenen Tagen interessiert, zugänglich zu machen.

Das vom Musiker und DJ Stefan Schneider (To Rococo Rot) betriebene Düsseldorfer TAL Label hat bereits einige solcher Kleinode wieder zugänglich gemacht. Aktuell erscheint mit »Accident in Heaven« bereits das zweite wieder aufgelegte Album von Konrad Kraft; hinter dem Pseudonym steckt der Düsseldorfer Produzent Detlef Funder.

Ursprünglich ist »Accident in Heaven« 1987 als Tape in einer Auflage von bloß 40 Kopien auf dem von Bernd Sevens, Dino Oon und Detlef Funder betriebenen Label SDV erschienen. Es herrschte damals eine »diffuse Gesamtstimmung«, erinnert sich Funder: einerseits das «beklemmende Angstgefühl des kalten Krieges«, andererseits die »stimulierende Aufbruchsstimmung der Independent-Szene«. Plötzlich war so viel möglich:

Man konnte seine Musik selbst vervielfältigen, vertreiben und über die vitale Fanzine-Szene bekannt machen.

Dass sich mehr als 30 Jahre später ein interessiertes Publikum für seine Musik finden könnte, hatte Funder nicht wirklich erwartet. Und so musste er, als Stefan Schneider vor zwei Jahren das Konrad-Kraft-Tape »Arctica« auf LP und CD wieder veröffentlichen wollte, erst mal das Archiv durchstöbern und nachschauen, ob die Tapes überhaupt den Staub der Geschichte überstanden haben. Zu seinem Erstaunen waren die Aufnahmen bestens über die Jahre gekommen. Eine Einschätzung, die man nach dem Hören von »Artica« und jetzt »Accident in Heaven« teilt: Beide Alben lassen sich problemlos zu aktuellen experimentellen Musikveröffentlichungen in Beziehung setzen.

Aber noch mal zwei Schritte zurück: Woher kommt das Interesse am Aufarbeiten vergangener Epochen? Funder sieht die »Renaissance von Krautrock« als einen Einflussfaktor, spricht aber vor allem davon, »dass viele die Nase voll haben von dem ewigen Gleichklang-Geplärre, was unsere Radiosender heute so hergeben.«

Gefragt, wie er den Zeitgeist der frühen 1980er Jahre beschreiben würde, benutzt er Worte wie »wild« und »anarchisch« und spricht zugleich davon, dass der Proberaum neben dem Plattenladen »eine Art zweites Zuhause war, in welchem man seine künstlerischen Positionen ausarbeiten konnte«. Er verbindet mit jener Ära einen Aufbruch zu neuen Gefilden, der ihm aktuell oft zu verzagt daher kommt: »Heute bekommt man mit jedem Musikprogramm tonnenweise fertige Samples in allen Variationen, die man eigentlich nur noch per drag and drop in seine Sequenzer-Programm ziehen muss. Deswegen klingt auch alles gleich und glattgebügelt. Ich weiß, das ist böse, was ich hier sage, aber das ist mein Eindruck. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der jede Band ihren eigenen Sound entwickeln und bloß nicht wie eine andere Band klingen wollte.«

Bei Wiederveröffentlichungen elektronischer Musik aus den 80er Jahren spricht man schnell und manchmal wahllos davon, sie haben jeweils einen direkten Einfluss auf die Genese von Techno gehabt. Eine Argumentationslinie, die Detlef Funder bescheiden negiert: »Na ja, mein Teil am Entstehen von Techno ist eher sehr gering bis null. Allerdings war ich Ende der 80er Feuer und Flamme, als es mit Acid House losging.«

Inspiriert von den frühen Platten aus Detroit und Chicago sollte er für die kommenden 15 Jahre selber Techno produzieren. »Ich sehe diese Musik als eine Art Weiterführung von Punk, was den elektronischen Bereich angeht«, sagt Funder zu dem, was ihn damals besonders reizte. »Ein nettes Austoben und Entdecken der Möglichkeiten. Jedenfalls in der Zeit von 1991 bis 94.«

Mittlerweile ist Funder aus der Clubkultur raus, der Musik ist er verbunden geblieben. Er betreibt ein Mastering-Studio in Düsseldorf und veröffentlicht regelmäßig auf dem von Till Kniola betriebenen Label Aufabwegen audioskulpturelle Aufnahmen; hauptsächlich arbeitet er aber als bildender Künstler in der konkreten und interdisziplinären Kunst.

Ein Frage ist noch offen, was hat es mit dem Pseudonym Konrad Kraft auf sich? »Das kommt von Conrad Schnitzler und Kraftwerk, welche ich damals großartig fand und kurz entschlossen zu einem Pseudonym zusammen geklebt habe.«

Tonträger: Konrad Kraft, »Accident in Heaven« (TAL/MORR Distribution), bereits erschienen.