Immer im Austausch, immer auf Tuchfühlung: Viola Klein. Foto: Mathias Schmitt

Fragen des Black Atlantics

Die Kölner Produzentin Viola Klein sucht den Austausch mit dem Detroiter Drexciya-Mythos auf kognitiver, sinnlicher und sozialer Ebene

Die Sonne strahlt das erste Mal freundlich in diesem Jahr. Bei Tee und Croissant genießen Viola Klein und ich das Treiben im Agnesviertel. Man sitzt hier am Café ohne Maske, an einem Tisch — und es fühlt sich vergleichsweise normal an. Das letzte Mal als wir uns gesehen hatten, war das beim Ambientfestival, wo Klein mit Tobias Thomas unter der Kirche am Brüsseler Platz aufgelegt hat. Es war an diesem Abend im vergangenen September in der Krypta für viele seit langer Zeit die erste Begegnung mit Club-Musik ohne Maskenpflicht. Nach ihrem Set, das passend zum Ort auch aus Gospelmusik bestand, redeten wir lange über diese seltsame Situation zwischen Ausgelassenheit und Vorsicht, das generelle Unbehagen auf der Tanzfläche und die Musiker*innen, die während der Corona-Pandemie gestorben waren.

Eigentlich wollten wir dieses Gespräch im Nachgang schnell vertiefen — was folgte waren die vierte und fünfte Welle und keine Möglichkeit zum Treffen. Nun ist endlich der Zeitpunkt gekommen. Angenehmer Nebeneffekt: Angestrengte Interviewatmosphäre kommt kaum auf — DJ/Produzentin auf der einen Tischseite, Journalist auf der anderen genießen diese Unaufgeregtheit.

Es ist nicht so, dass Klein, die 1973 in Frankfurt am Main geboren wurde, nicht über ihre Musik reden könnte. Im Gegenteil: Sie ist auskunftsfreudig, wenn man sie konkret zu ihren House-Produktionen befragt. Dann spricht man unter anderem über Wegbereiter*innen und Freund*innen — wie Marcellus Pittman oder Whodat. Dennoch äußert sich Viola Klein, so scheint es mir, lieber beiläufig über ihre eigenen Projekte — und vertieft das Gespräch, wenn es um philosophische Überlegungen geht, um gemeinschaftliche Zusammenarbeit, Detroit und den Senegal, wo sie für ihre letzten Platten Kooperationen verwirklicht hat. Ein weiteres Indiz für diese, in unserem Milieu ungewohnte, Zurückhaltung, diesen Anti-Narzissmus, ist die Wahl ihrer Platten- und Tracktitel: »We«; »Open Mind«; »Exchange«. Stets geht es um Austausch auf kognitiver, sinnlicher und sozialer Ebene — nie um die Absolutsetzung der eigenen Erfahrung. Klein vermittelt manchmal mit nur wenigen Worten eine Stimmung, eine Idee: Von der Anziehungskraft des Zusammenkommens im Senegal etwa, oder auch wie es sich anfühlt, in Gorée zu sein. Diese Insel vor der Küste des westafrikanischen Landes ist heute ein Erinnerungsort, zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert war es ein bedeutender Ort der Menschen­verschleppung über den Black Atlantic — der von Europa und den USA betriebenen Sklaverei. Kaum sprechen wir über jene düstere Epoche der Menschheitsgeschichte, fällt uns wieder ein, dass es einen Anlass für unser als Interview getarntes Gespräch gibt: Im April während des Acht-Brücken-Festivals wird Viola bei der Veranstaltung »Descendants of Drexciya« spielen.

Drexciya: Dieses Techno-Duo bestand aus James Marcel Stinson und Gerald Donald und war, bis zum Tod von Stinson im Jahr 2002, eine ganze Dekade lang eine der wichtigsten Stimmen der Detroiter Szene. Die Ursprünge des Duos, das live bisweilen vom heute noch aktiven DJ Stingray 303 begleitet wurde, liegen im Umfeld der Second-Wave-Techno-Vereinigung Under­ground Resistance. Doch Donald und Stinson sollten schon recht bald einen ganz eigenen und auch eigensinnigen Sound entwickeln, der zu ihrem Markenzeichen wurde: Sie aktualisierten das Electro-Genre, das Anfang und Mitte der 1980er die moderne Clubszene (mit-)definiert hatte, und verhalfen diesem zu einem Revival. Der Autor Martin Büsser nannte ihren Sound einst »chrom-überzogen«. Drexciya haben in den zehn Jahren ihres Bestehens einen charakteristischen Klang entwickelt und perfek­tioniert, der auch heute noch ungewohnt und dennoch fesselnd klingt. Trotz einer unübersehbaren Strenge und Härte wirken die Stücke nie stumpf, sondern sind meist klar und scharf; es sind die Klänge eines großen Maschinenraums. Dieser befindet sich derweil in einem U-Boot, denn Drexciya sind neben ihrem Electro-Sound vor allen Dingen für die selbst kreierten Drexciya-Sage bekannt.

Während der Jahrhunderte der Sklaverei wurden schon während der strapaziösen und gefährlichen Überfahrt über den Black Atlantic unzählige Opfer verzeichnet. Darunter auch schwangere Frauen, die man aus einer verachtenswerten Kosten-Nutzen-Rechnung (sie bedurften naturgemäß einer größeren Fürsorge) heraus einfach über Bord warf und ertrinken ließ. Hier setzt die Sage an: Die Kinder der ertränkten Afrikanerinnen wurden unter Wasser geboren, lernten unter diesen Bedingungen zu atmen und zu leben, bauten daraufhin über die letzten Jahrhunderte ein Atlantis-gleiches Reich auf. Dieses schlummere bis heute zwischen Europa, Afrika und den USA. Durch Masken anonymisiert traten Drexciya selbst als Kinder dieser Untersee-Stadt auf. Gerald Donald ist heute noch aktiv, beim Acht-Brücken-Festival wird er mit dem Projekt Dopplereffekt live spielen, welches er zusammen mit Michaela To-Nhan Bertel betreibt.

Wo leitet man Aggressionen hin? Ohne die Wut zu internalisieren, ohne Selbstzerstörung?

Seit dem Mord an George Floyd und dem Wiedererstarken der »Black Lives Matter«-Bewegung wirkt die fiktionale Utopie eines alternativen Schwarzen (Untersee-)Reiches, ohne Rassismus, hochbrisant. Auch Viola Klein macht sich ihre Gedanken, wie sie ihre Musik mit dieser Erzählung in Einklang bringen kann, wie sie selbst ästhetisch zu dieser Sage steht. Es dreht sich für sie alles um das politische Moment dieser Musik. Sie habe vor allen Dingen über Worte wie »Wut« nachgedacht; wie man diese verfeinern könne? Man müsse neue Welten imaginieren, sich fragen, wie man das Leben für alle besser machen könne: »Nach den Entwicklungen der letzten zwei Jahre, wo Probleme so offensichtlich geworden sind und noch in der letzten Ecke angekommen sind, müssen wir fragen: Wohin geht es für uns?« Sie verweist auf Schriften des us-amerikanischen Dichters Fred Moten und der Sozio­login und politischen Philosophin Judith Butler: »Wo leitet man Aggres­sio­nen hin? Ohne die Wut zu internalisieren, ohne Selbstzerstörung?«

Ihre Überlegungen setzt Klein nicht absolut. Sie begibt sich vielmehr auf eine Suche, alleine, aber aber unbedingt auch im Austausch mit den anderen Acts des Abends und dem Publikum. Sie wolle schauen, was bei der Veranstaltung passiere; wie die Musiker*innen die »Erbschaft des Drexciya-Projekts« antreten.

stadtrevue präsentiert

Acht Brücken:
»Descendants of Drexciya«
mit Dopplereffekt (live)
Viola Klein, Sarah Farina, Sandile
9.4, Gewölbe, 21 Uhr