Ein Held? Amir Jadidi

A Hero

Ashgar Farhadi beschreibt eine iranische Gesellschaft, die keine Scheu vor Doppelmoral zeigt

Rahim Soltan ist ein junger, höflicher und offenkundig treuherziger Mann. Er kommt während ­eines zweitägigen Freigangs aus der Schuldhaft in den Besitz einer gefundenen Damenhandtasche, die mehrere wertvolle Goldmünzen enthält. Er entscheidet sich dagegen, mit dem Fund seine Schulden zu bezahlen und lässt die ­Tasche zurückgeben. Die gute Tat spricht sich herum und macht Herrn Soltani zum Helden bei ­Gefängnisleitung, Familie, in den Sozialen Medien — und die Öffentlichkeit wirkt auf den verstockten Gläubiger Bahram ein, dem vormaligen Schwiegersohn zu vergeben.

Doch bald führen kleine Notlügen, Ungereimtheiten und anonyme üble Nachrede zu Zweifeln an Soltanis Version des Ereignisses. Der eben noch als moralisches Vorbild Gefeierte gerät in eine Abwärtsspirale. Eine versprochene Anstellung wird nicht vergeben, Spendeneinkünfte ­eines Wohltätigkeitsvereines ­werden nicht ausgeschüttet, eine Talkshow, die für den Wohltäter und seinen stotternden Sohn noch mal Zuwendungen bedeutet hätten, wird abgesagt.

Der zweifach mit dem Auslands-Oscar bedachte iranische Regisseur Asghar Farhadi unternimmt seine Erkundungen der Tiefen des menschlichen Gewissens, der moralischen Wahrheiten, der kollektiven Verblendung mit außergewöhnlichem Gespür für suspense, erzählerische Ökonomie und komplexe Figurenzeichnung. Noch in der alltäglichsten Szene, im banalsten Gespräch vermag Farhadi ein Gefühl des Rätselhaften, Mehrdeutigen und Unausgesprochenen zu erzeugen.

»A Hero«, in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, führt eine Gesellschaft vor, die ihre Handlungen blitzschnell und ohne Scheu vor Doppelmoral am Schein ausrichtet, zum eigenen Prestigegewinn. Dem 49-jährigen Farhadi selbst sind die Mechanismen einer Schlammschlacht bestens vertraut: Er wird im Iran wie in der Diaspora als Handlanger jenes Regimes verunglimpft, dessen Kulturpolitik er regelmäßig ­kritisiert und mit dem er gerade ­wegen seiner dritten Oscar-­Einreichung im Clinch liegt.

Das unbeirrbare Lächeln des Herrn Soltani weist ihn weniger als resilient aus, sondern vielmehr als einen durch seine Lebensumstände schon lange gebrochenen Mann. Erst zum Schluss, als er fast nichts mehr zu verlieren hat, findet er sein kleines Glück.

(Ghahreman) IR/F 2021, R: Asghar ­Farhadi, D: Amir Jadidi, Mohsen ­Tanabandeh, Sarina Farhadi, 128 Min.