»To Hell With Putin«: Proteste am Rosenmontag 2022 in Köln

Livestream in den Bunker

Die Theaterszene in Köln erklärt ihre Solidarität mit der Ukraine — auch André Erlen vom Ensemble Futur3

Eigentlich wäre André Erlen gerade in Charkiw, bei einem Performance-Workshop mit ukrainischen Kolleg*innen. Statt dessen organisiert der Schauspieler und  Theatermacher des Kölner Ensembles Futur3 jetzt Hilfskonvois, die mit Nachtsichtgeräten, Medikamenten und Schutzwesten in die Ukraine fahren,  in ein Land im Krieg. Im Schauspiel Köln hat er Anfang März zusammen mit seiner Partnerin, der aus Lwiw stammenden Sängerin Mariana Sadovska, eine Solidaritätsveranstaltung organisiert: »Art against War«. Ein Gespräch, über die Frage, was Kunst nun leisten kann und muss.

Herr Erlen, wie geht es Ihnen heute?

In meinem Leben und natürlich in dem meiner Frau Mariana Sadovska dreht sich seit Wochen alles um den Krieg in der Ukraine. Wir haben eine geflüchtete Familie bei uns Zuhause aufgenommen und telefonieren viel mit Verwandten und Freund*innen, die noch in der Ukraine ausharren. Manche wollen das Land nicht verlassen, andere haben es einfach nicht mehr rechtzeitig heraus geschafft. Es ist eine schreckliche, eine bedrückende Situation. Wir arbeiten eng mit einem Verein in Kiew zusammen, mit dem wir Hilfslieferungen in die Ukraine organisieren. Täglich kommen Leute zu uns nach Hause und bringen Material, Verbandszeug und Medikamente, wieder andere fahren mit ihren Transportern vor und bringen die Sachen schnell und unbürokratisch dorthin, wo sie gebraucht werden.

Schon einige Wochen vor dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine haben Sie mit Slava Gepner in der Tanzfaktur einen Solidaritätsabend veranstaltet.

Der Krieg kam für uns nicht überraschend. Schon Wochen vor der Invasion erreichten uns immer mehr Nachrichten von Kolleg*innen aus der Ukraine, die eine Flucht-Tasche gepackt hatten, sich im Schießen ausbilden ließen oder vor Sorge bereits ihren Wohnort verlassen hatten. Die Lage vor Ort wirkte schon lange sehr bedrohlich, spätestens seit Putin seine Truppen in die Nähe der ukrainischen Grenze verlegt hatte. Zusammen mit Künstler*­innen, etwa den ukrainischen Schriftsteller*innen Juri Andruchowytsch, Boris Chersonskij und Lyuba Yakimchuk, der Schauspielerin Antonina Romanova,  der Sängerin Iryna Krutschenko und vielen mehr  haben wir deswegen in der Tanzfaktur das erste Happening »Make Art Not War« organisiert, um den Menschen in Odessa, Kiew und im Donbas per Live-Stream die Möglichkeit zu geben, ihre Stimmen zu erheben — und von uns, hier im Westen, gehört zu werden.

Eine große Solidaritätsveranstaltung, kurz nach Beginn des Angriffskrieges, fand dann am 2. März im Schauspiel Köln statt.

Das ging alles sehr schnell: Innerhalb eines Tages wurde dort alles bereitgestellt und organisiert, Mariana und ich brachten unsererseits, nun ja, es fällt mir schwer es so zu nennen: das Programm. Künstler*innen aus Köln haben Texte ukrainischer Schriftsteller*innen gelesen, es gab Musik und Gespräche mit vom Krieg betroffenen Menschen, die wir per Videoschaltung auf die Bühne geholt haben. Etwa mit dem Theatermacher Andriy May, der während unseres Gesprächs in Cherson im Schutzraum saß, mit kleinem Kind und seiner kranken Mutter. Sie haben es nicht mehr aus der Stadt geschafft, denn der Zug, den sie nehmen wollten, kam nicht mehr. Wie spricht man mit jemandem in so einer Lage?


Uns geht es nicht um Leidvoyeurismus, wir haben nichts zu verkaufen

Zudem muss es sich wie ein unauflösbarer Widerspruch angefühlt haben: Hier das Publikum in roten Samtsesseln, dort ein Mensch, der in einem Bunker um sein Leben fürchtet.

Uns ging es nie um Leidvoyeurismus, wir haben nichts zu verkaufen. Der Solidaritätsabend war gedacht, um die Ressourcen der Kunst zu nutzen. Denn sie vermag nicht nur zu informieren, sondern kann auch ein Angebot sein, sich zu versammeln, den Dingen eine Sprache zu geben. Oder angesichts des Leids dieser Menschen auch keine Worte zu haben und das dann miteinander auszuhalten. Da Mariana und ich mit allen Betroffenen befreundet sind, die an diesem Abend zu Worten kamen, fühlte es sich für mich eher an, als würde wir diesen permanenten Dialog, in dem wir gerade stehen, für einen Moment öffnen.

Welche Reaktionen haben Sie aus dem Publikum an diesem Abend bekommen?

Viele haben mir nach der Veranstaltung gesagt, dass der Schock für sie wichtig gewesen sei — einfach sich damit zu konfrontieren. Das Unbehagen im Raum war enorm: Schließlich waren wir auf einer Kunstbühne, auf der nun die bittere und brutale Realität stattfand. Der Filmemacher Alexander Kluge sagte kürzlich, geteilte Informationen seien gut, aber erst eine geteilte Erfahrung führe zu politischem Denken. Daran muss ich gerade häufig denken. Auch wir Künstler*innen im Westen haben angesichts des Krieges jetzt unsere Hausaufgaben zu machen: Indem wir ukrainische Kultur auf die Bühne bringen, die Gedichte, Bücher, Bühnenstücke dieser Menschen — und natürlich auch den Debatten einen Raum geben, die wir nun innerhalb unserer Gesellschaft führen müssen.

Sie haben zu Beginn einen Verein in Kiew angesprochen, mit dem Sie Hilfslieferungen in die Ukraine koordinieren. Was hat es damit auf sich?

Kurz nach der Invasion der russischen Truppen haben wir einen Kollegen in der Ukraine gefragt, wie wir helfen können und das erste, was er sagte, war: »Unterstützt unsere Armee!« Da musste ich erst mal schlucken. Ich bin Pazifist, aufgewachsen in einem Leben in Frieden. Aber ich habe auch verstanden: Es ist ein moralisches Recht, sich zu verteidigen. Die Frage, ob die EU die Ukraine militärisch unterstützen soll, finde ich sehr schwer zu beantworten. Mit unseren Spenden unterstützen wir nun Menschen, die in der Zivilverteidigung aktiv sind — also diejenigen, die die Städte verteidigen. Wir liefern defensive Unterstützung, Helme, Schutzwesten, Nachtsichtgeräte und Hobby-Drohnen. Viele der Leute, mit denen wir Kontakt haben, konnten nicht mehr rechtzeitig fliehen, unsere Unterstützung ist eine existentielle.

Und die Kunst? Was muss sie nun leisten?

Ein Chorleiter aus Kiew sagte in einem Zoom-Meeting mit einiger Verbitterung in der Stimme: »Leute, ich habe meinen Einberufungsbefehl bekommen. Morgen bin ich weg und vielleicht sehen wir uns nie wieder. Schaut ihr, was ihr mit eurer Kunst macht.« Es geht darum jetzt aufzuwachen. Wir leben in einer Wohlstands- und Friedensblase und wir alle sind dazu aufgerufen, zu überdenken, auf wessen Kosten wir uns hier eingerichtet haben. Die Kunst kann dabei helfen, einen Ausdruck zu finden, Menschen zusammen zu bringen.