Zur Eröffnung im Schauspiel Köln: »Happy Island« befreit von Körper-Vorurteilen, Foto: Júlio Silva

Kraft der Gegensätze

»Aufbruch — mach mal neu!«: Im Mai findet das Sommerblut Kulturfestival statt

Rolf Emmerich ist Gründer und Leiter des Festivals der Multipolarkultur. Seit 21 Jahren setzt er sich mit Sommerblut für die An­erkennung von gesellschaftlicher Diversität ein und bietet Menschen mit und ohne Behinderungen oder sozialen Benachteiligungen eine Bühne. Er findet: »Wir ­haben unsere Hausaufgaben gemacht. Und uns während der Pandemie die Zeit genommen liegengebliebene Dinge in Angriff zu nehmen.« So startet das Festival neu durch: mit überarbeiteter Homepage, verdoppelter Bürofläche, neu erschlossenen Spiel- und Ausstellungsorten und einem ­vergrößerten Team. Getrieben von dem Drang, die Dinge anders zu machen — auf der Bühne und in der Gesellschaft, sei es zunächst wichtig gewesen, den ­Status Quo zu betrachten, sagt Emmerich. »Wir mussten uns ­bewusst werden, wofür wir stehen und mit wem wir wie zu­sammen arbeiten wollen.«

Auch Pressesprecherin Hannah Lina Schneeberger ist neu im Team. Sie findet: »Das Sommerblut lebt von seinen Gegensätzen. Davon, wie laut es ist und wie gut es mit dem Thema Inklusion umgeht.« Es gehe darum, die Bühne nicht als exklusiven Raum zu begreifen, sondern als einen Ort für alle. Jede*r hat das Recht gehört und gesehen zu werden.

Das Programm umfasst Ausstellungen und Performances, Schauspiel, Tanz, Workshops, Gastspiele und Eigenproduktionen. In »Alles Aber Anders.« setzen sich zwölf Performer*innen unter der Regie von Petra Wüllenweber mit ihren persönlichen Konsequenzen der Pandemie auseinander. »Das Ensemble der Eigenproduktion ist bewusst inklusiv«, sagt Rolf Emmerich. Eine Palliativkrankenschwester kommt ebenso zu Wort, wie ein gehörloser Friseur, dem es durch die Maskenpflicht nicht mehr möglich war, die Wünsche von den Lippen seiner Kunden abzulesen, sowie Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen. »Die konnten wir nicht mit den anderen Spieler*innen zusammenbringen«, sagt Rolf Emmerich. »Denn die hatten teilweise aufgrund ihrer besonderen Situation ein besonderes Schutzbedürfnis.« Die Positionen der Menschen ohne Corona-Impfung werden durch Filmbeiträge in die Inszenierung eingebunden.


Für »queertopolis. Begehrt euch!« öffnet Kölns berühmteste Männersauna, die ­Phönix-Sauna, ihre Pforten

Die andere große Eigenproduktion »ENTLOVE YOU!« unter der Regie von Ana Valeria González bringt rund 20 Frauen aus verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten zusammen. Das Ensemble hat erforscht, wie wir wieder in Kontakt treten können. Es sucht nach neuen Formen der Liebe in Zeiten des Kapitalismus und appelliert dazu, Liebe als ­partizipatorische Handlung zu ­begreifen.

Ein besonderes Highlight dieses Jahr ist die Utopie des menschlichen Traumortes »Happy Island«. Die Tanz- und Live Art Performance der spanisch-schweizerischen Choreographin La Ribot mit der inklusiven Tanzkompanie Danćando com a Diferenća war schon seit Jahren geplant — und befreit von Körper-Vorurteilen. Mit »Happy Island« erhält das Sommerblut zum ersten Mal Einzug in einen Spielort des Schauspiel Köln. »Das war harte Arbeit«, verrät Rolf Emmerich. Doch das Depot 2 ist nicht der einzige Ort, der dieses Jahr neu erobert wurde. Für »queertopolis. Begehrt euch!« öffnet beispielsweise Kölns berühmteste Männersauna, die Phönix-Sauna, ihre Pforten. An zwei Abenden werden hier Happenings rund um die Themen Lust, Sex, Liebe und Beziehungen stattfinden. Während der Performances, Installationen und Shows geht der normale Saunabetrieb weiter. Man sollte also Handtuch oder ­Bademantel mitbringen.

Wer lieber Zuhause bleiben möchte, hat mit der Selbsterfahrungs-App »iBelieve«, einem digitalen Forschungsprojekt im Rahmen von Face to Faith, die Möglichkeit seinen individuellen Glauben spielerisch zu erforschen. 30 Tage lang stellt die App ihre Nutzer*innen vor kleine Aufgaben und Alltagsrituale und weist so den Weg zu einer per­sönlichen Form spiritueller Praxis. Die Weltsicht geneigter Nutzer*innen wird in einem Gedan­ken-­Orte-Bild-Sammelsurium am letzten Festivaltag in einer performativen Installation am Ebertplatz präsentiert.

Nun bleibt zu hoffen, dass Quarantäne-bedingt keine Produktionen ausfallen müssen. Schließlich ist das Sommerblut ein reines Projektfestival. Diese Art von friedlicher Lebendigkeit, positiver Grenzüberschreitung und laut gelebter Empathie brauchen wir jetzt.  

Sommerblut Festival, 6.–22.5., diverse Spielorte