Max Jorge Hinderer Cruz, © ADKDW Katja Illner

Akademie der Künste der Welt

Max Jorge Hinderer Cruz ist neuer Leiter der Akademie der Künste der Welt

Herr Hinderer Cruz, mit Ihrer multikulturellen Biografie sind Sie selbst ein gutes Aushängeschild für die Akademie der Künste der Welt, dessen künstlerischer Leiter Sie seit Januar 2022 sind.

Ich bin bolivianisch-deutscher Herkunft, habe einen deutschen Vater und eine bolivianische Mutter. Während der 1970er Jahre befand sich meine Mutter in unterschiedlichen lateinamerikanischen und europäischen Ländern im politischen Exil, wo sich eine starke politische Enklave gebildet hatte. Auch prominente Mitstreiter im Rheinland wie Heinrich Böll und sein Sohn René haben den Kampf gegen die Militärdiktaturen in Lateinamerika unterstützt. So kam es, dass ich in Heidelberg geboren wurde und als Baby das Privileg hatte, in den Armen von Heinrich Böll zu liegen.

Welche Auswirkungen hatten diese turbulenten Umstände auf Ihren weiteren Lebensweg?

Ich bin in zwei Kulturen und mit zwei Sprachen aufgewachsen. In Bolivien wurde ich eingeschult, in Deutschland machte ich mein Abitur. Danach habe ich an der Akademie der Bildenden Künste in Wien Kunst und Philosophie studiert und kürzlich meine ­Doktorarbeit in Philosophie ab­­geschlossen. Es folgten lange Arbeitsaufenthalte in Südamerika, in Brasilien, dann in Bolivien, wo ich das Nationale Kunstmuseum geleitet habe. Aufgrund meiner globalen Biografie fühle ich mich schnell an verschiedenen Orten zuhause.

Wo steht die Akademie der Künste der Welt zehn Jahre nach ihrer Gründung und welchen Anspruch vertreten Sie als neuer künstlerischer Leiter?

Der Anspruch ist es, Internationales mit Köln zu verbinden: Kontakte zu globalen Akteuren und Kulturschaffenden herzustellen, dabei gleichzeitig gezielt lokale Aspekte einzubeziehen, um die spezifisch Kölner Situation im Kontext der internationalen Ausrichtung der Akademie zu reflektieren. Unsere besondere Mitgliederstruktur bildet dabei den Kern, mit über 20 Mitgliedern weltweit richtet sich der Blick sowohl von außen auf Köln als auch aus Köln heraus in die Welt. Als Schnittstelle zwischen der Welt und Köln bieten wir diesem aktiven Austausch eine Form, schaffen den Rahmen für zahlreiche Veranstaltungen, um eine breite Öffentlichkeit zu erreichen.

Globales und Lokales zu verbinden, das haben schon Ihre Vorgängerinnen versucht. Was ist neu an Ihrem Ansatz?

Wir behandeln Themen gesellschaftlicher und globaler Relevanz, die seit der Gründung ausschlaggebend sind. Durch Kooperationen, Residency-Programme, Diskussionen, Ausstellungen, Publikationen, Studien- und Rechercheprojekte soll sich die Akademie als dynamischer sozialer Raum etablieren, auch durch die Einbeziehung marginalisierter Gruppen. Wir sind der Weiterführung des Vorgängerprogramms verpflichtet und wollen uns nicht neu erfinden.

Inwiefern richten Sie Ihr Augenmerk auf die in Köln verortete Kulturproduktion?

Wir suchen die Anbindung an die Kölner Szene durch die gezielte Zusammenführung von Akteurinnen und Akteuren. Gerade sondieren wir mögliche Formen der Zusammenarbeit mit dem Musiklabel Kompakt. Das Partizipative Stipendienprogramm organisieren wir beispielsweise gemeinsam mit DEMASK Kollektiv und Integrationshaus e.V., es richtet sich an queere Personen of Colour. Für 2024 ist eine Kooperation mit dem Ludwig Forum in Aachen vorgesehen, die kölnische Themen aus globaler Perspektive betrachtet. Zum einen das Thema Karneval, aber aus einem kritischen anthropologischen Blickwinkel heraus. Der Karneval soll in seiner Verquickung mit Ökonomie und Spiritualität beleuchtet werden. Zum anderen das Thema Leben mit HIV/Aids, da gerade in Köln die Ausbreitung von HIV/Aids zu relevanten Diskussionen und besonderen Formen der Sichtbarkeit unter anderem innerhalb der schwulen Community geführt hat.


Das Individuelle, Lokale, Nationale ­existiert nicht isoliert und muss immer im Lichte übergeordneter, globaler Strukturen betrachtet werden

Ihre Vorgängerin Madhusree Dutta hat einmal gesagt: »Das Interessante an einer Stadt wie Köln ist, dass sich hier Geschichte auf Geschichte türmt«.

Madhusree Dutta ist eine scharfe Beobachterin. Ihre Wahrnehmung des Stadtbildes betont den augenfälligen Kontrast zwischen Dom und Weltkriegsruinen, der tiefgreifende Auswirkungen auf die Textur der Stadtgesellschaft hat, in die vielfältige Formen von Migration eingeschrieben sind. Köln ist eine bunte Stadt, im Sinne verschiedener historischer Konstellationen. Es hat viele Rollen in der Weltgeschichte gespielt, der Dom ist ein imposantes Beispiel dafür, ebenso das Museum Ludwig und der WDR... Diese Vielfältigkeit wollen wir widerspiegeln und mitgestalten.

Das aktuelle Ausstellungsprojekt »Potosí-Prinzip — Archiv« basiert auf der Berliner Ausstellung, die Sie 2012 mit Alice Creischer und Andreas Siekmann kuratiert haben. Warum haben Sie ihre Ergänzung als Archiv zum Auftakt gewählt?

Die Ausstellung bildet das Selbstverständnis der Akademie der Künste der Welt und unseren Auftrag besonders gut ab. Die Silberströme auf dem Boden erscheinen als Verbindungslinien zwischen ganz unterschiedlichen, teils entlegenen Orten weltweit. Alle sind vom »Potosí Prinzip« betroffen. Potosí, die Silberstadt in den Anden im heutigen Bolivien, deren natürliche und humane Ressourcen im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts durch Abbau von Silber massiv ausgeschlachtet wurden, statuiert ein Exempel. Sie erscheint als Paradigma einer Logik der Ausbeutung, deren historische und geografische Spanne bis in die unmittelbare Gegenwart — und bis vor unsere Haustür — reicht: wie wir zuletzt in der Auseinandersetzung um den Hambacher Forst gesehen haben.

Die Akademie als Forum für die Veranschaulichung einer Logik der Ausbeutung?

Das Individuelle, Lokale, Nationale existiert nicht isoliert und muss immer im Lichte übergeordneter, globaler Strukturen betrachtet werden. Ob es sich um meine Biografie oder um Köln handelt, wir alle unterliegen weltpolitischen und gesellschaftlichen Verflechtungen. In ähnlicher Art, wie die Ausstellung die Logik der Ausbeutung in ihrer globalen Reichweite und anhaltenden zeitlichen Kontinuität in vielfachen — und bis zu uns vordringenden — Verästelungen aufzeigt, betreibt die Akademie die künstlerische Forschung und Produktion in Projekten, die globale Sach- und Interessenslagen mit hiesiger Wirklichkeit verbinden.

Potosí-Prinzip — Archiv, 8.4.–17.7., ­Academyspace, Herwarthstraße 3, Fr–So 14–19 Uhr