Gespür für Schwingungen: Thomas Sauerborn

Freiheit im Groove

Der Schlagzeuger Thomas Sauerborn denkt mit seinen Bands den Jazz neu

Die eigene Künstlerpersönlichkeit in der Vielfalt und Diversität einer aktuellen Musik herauszuarbeiten — das ist Anliegen von Thomas Sauerborn. Diese Qualität hat der Kölner Schlagzeuger in vielen kooperativen Bands, in den er seit zwölf Jahren zu hören ist, gezeigt, aber genauso demonstriert er es auf seinem Debüt »Kyiwi« aus dem vergangenen Jahr.

Thomas Sauerborn, 1987 im baden-württembergischen Nürtingen geboren und in der Nähe von Gießen aufgewachsen, studierte zwei Jahre lang Schlagzeug in Amsterdam, bevor er an die Jazzabteilung der Hochschule für Musik und Tanz Köln ging. Dort machte er 2013 sein Bachelorexamen, seit 2010 lebt er in Köln. Er ist Co-Gründer vom Subway Jazz Orchestra, das eine ganze Reihe junger, vielversprechender Improvisatoren und Komponisten in seinen Reihen hat und regelmäßig im einstigen Kölner Vorzeige-Jazzclub (und Namensgeber dieser Bigband) Subway live vor Publikum spielt. Zudem ist er mitverantwortlich für den schiebenden Groove der elektro-akustischen, stets tanzbaren Sounds eines Quartetts mit dem kryptischen Namen Das Ende der Liebe und reduziert im Pollon Trio die rhythmische Struktur gerne auf einen flirrenden Puls. Mit Philipp Brämswig (E-Gitarre), Sebastian Scobel (Hammond-Orgel) fusioniert er im Mengamo Trio brachialen Prog-Rock, groovenden Soul-Jazz und Hardbop mit lässigen Singer/Songwriter-Themen, einem Modern Jazz europäischer Prägung und freitonalen Klangtrauben. Im litauisch-polnisch-deutschen Quartett Mount Meander, das Sauerborn während seiner zwei Jahren am Rytmsik Musikkonservatorium in Kopenhagen mitgegründet hat, umzirkelt er den Beat und last not least konzentriert er sich im hochenergetischen Quartett The Resonators auf das freie Spiel der musikalischen Imagination.

Bei all seiner Vielfalt fallen zwei Aspekte in der Vita Sauerborns auf. Zum einen liebt er es, mit langjährigen und kooperativen Bands zusammenzuarbeiten. Zum anderen hat er sich viel Zeit gelassen, um sein erstes Album unter eigenem Namen aufzu­nehmen und zu veröffentlichen: ­»Kyiwi« erschien  erst letztes Jahr (klaengrecords.de). »Ich fand den Klang des Wortes passend«, so Sauerborns Erklärung des Albumtitels, der auch der Name seines Quintetts ist. »Für viele klingt der Name zuallererst irgendwie witzig. Aber er soll, ähnlich wie meine Musik, offen sein für Interpretationen. Ich will nicht vorschreiben, was man damit im ersten Moment assoziieren soll — deshalb habe ich auch das Ypsilon eingefügt. Damit man sich fragt, wie der Name ausgesprochen wird und was damit überhaupt gemeint sein soll.«

Obwohl Sauerborn nominell der Bandleader dieses Quintetts ist, hat er auch bei Kyiwi Sorge getragen, dass sich die Musiker gut kennen und sich spielerisch gleichermaßen ergänzen wie kontrastieren. »Ich wollte schon immer ein klassisches Jazz-Quintett leiten, weil ich ein Riesen-Fan von Art Blakey und Miles Davis bin«, sagt Sauerborn dann überraschend. »Schon sehr lange habe ich mir vorgestellt, wie ein solches Quintett aus meiner Perspektive klingen könnte.« Während der ­Saxofonist Sebastian Gille wie ein Bildhauer seinen Ton geradezu meißelt, um seinem Sound eine dreidimensionale, plastische Komponente zu geben, setzt der Trompeter Bastian Stein ganz auf lange, weit geschwungene Ton-Girlanden, die oftmals durch einen melodischen Impuls angestoßen werden. Aus der langjährigen Zusammenarbeit in vielen Bands mit dem Pianisten Lucas Leidinger, mit dem er sich auch in Köln einen Proberaum teilt, kennt er dessen Fähigkeit, den tonalen Raum bis an die Grenzen der Harmonik und darüber hinaus auszudehnen. Und mit dem Bassisten David Helm bildet er wiederum eine sprichwörtlich traumwandlerisch sicher agierende Rhythmusgruppe, die raffiniert zwischen konkretem Groove und rhythmischer Abstraktion changiert.

Wie in vielen anderen Bands, in denen Sauerborn als flexibel trommelnder Schlagzeuger zu hören ist, steht für ihn bei Kyiwi die kollektive Leistung ganz vorne an. »Ich bin eben ein Fußball-, aber kein Tennis-Spieler«, so Sauerborns Erläuterung. »Sicherlich, ich engagiere mich gerne, übernehme Verantwortung und bringe auch etwas voran. Aber ein Kollektiv, in dem Ideen zusammen kommen können und die Energie ungehindert fließt, gibt mir einfach mehr. Wenn man Dinge tut, die nur zusammen in diesem Kontext gelingen können. Wenn man zusammen etwas spielt, das so noch nie gehört worden ist. Wenn es all das nur deshalb gibt, weil wir es als Kollektiv in diesem Moment zu­gelassen haben.«


Meine Musik besitzt viele Grauzonen. Ich gebe wenig vor, weil ich daran interessiert bin, was mit meinem Material geschieht
Thomas Sauerborn

Sauerborn legt sich als Jazzmusiker nicht auf eine Stilistik fest, sondern reflektiert mit seinem Schaffen als Schlagzeuger auch und gerade sein künstlerisches Arbeiten: »Die Art und Weise, wie man andere Instrumente antizipiert und rezipiert, ist eine der größten Errungenschaften im Jazz. Egal ob ich als Schlagzeuger bloß Timekeeper bin oder als eben­bürtiger Instrumentalist agiere, der auf einer Improvisationsebene zum Beispiel mit einem Pianisten spielt, es setzt voraus, dass ich verstehe, was der andere macht.« So schafft er es, stets hybride zu klingen, um wie selbstverständlich zu einer ästhetischen Diversität zu gelangen. »Meine Musik besitzt viele Grauzonen«, sagt Sauerborn. »Ich gebe kompositorisch wenig vor, weil ich daran interessiert bin, was mit meinem Material geschehen wird. Dann mache ich mir Gedanken darüber, welche Musikerinnen und Musikern dazu passen, und ich stelle mir die Frage, wer nicht nur die Noten vom Blatt zu spielen versteht, sondern seine eigene Perspektive einbringen und das große Ganze im Blick haben kann.«

Seine Freiheit im Groove zu finden, bedeutet für Sauerborn auch, sich ganz auf die eigene Intuition verlassen zu können: »Sobald die da ist, ist es egal, was ich auf dem Schlagzeug spiele. Groove ist ja auch nichts anderes als eine bestimmte Form von Schwingung, die sich sowieso entfaltet, egal, ob ich alleine oder mit anderen spiele.« Das gilt auch für sein Soloprogramm »[Zimbel]«, das bereits 2014, als er noch in Kopenhagen studierte, entstanden ist. »Damals wollte ich herausfinden, ob ich mich alleine vor ein Publikum stellen und eine Stunde lang solo Musik machen kann«, erinnert er sich, »ich wollte aber auch aus meiner Komfortzone am Schlagzeug heraus und meine Kreativität ganz auf ein einziges Becken reduzieren. Mit einer Förderung durch den Musikfonds habe ich kürzlich noch weitere Solo-Becken-Aufnahmen gemacht, die ich bald auch schon veröffentlichen will.«

Konzerte: Thomas Sauerborn spielt im Rahmen des Acht-Brücken-Festivals am 30.4. und 4.5. im King Georg, jeweils 21 Uhr, Eintritt frei