Haben einen guten Draht zu sich selbst: Gernot Bronsert, Sascha Ring und Sebastian Szary,  Foto: Birgit Kaulfuß

Glückstaumel im Datenstrudel

Moderat melden sich mit neuem Album und großer Tour zurück

Es ist der alles verändernde Tag Ende Februar, als wir uns im Zoom-Raum treffen. Die Neuigkeiten aus der Ukraine sind erst wenige Stunden alt, das gesamte Ausmaß noch nicht abzusehen. Sascha Ring alias Apparat sitzt in seinem Berliner Wohnzimmer, Gernot Bronsert und Sebastian Szary von Modeselektor sind dagegen schon im gemeinsamen Studio. Heute reden wir über ihr neues Album »MORE D4TA« (Monkeytown Records, 13.5.), das vierte, dass sie als Moderat aufgenommen haben und das in den nächsten Monaten auf Bühnen rund um die Welt aufgeführt werden soll. Wenn denn alles gut geht.

Auch bei Moderat hat die Zwangspause der letzten zwei Jahre ihre Spuren hinterlassen. Erst kam sie noch gelegen, das neue Album zu schreiben, dann stand sie der wichtigen Tour im Weg. 2017 verkündete die Band beim letzten Konzert ihrer Tour vor ausverkauftem Publikum, dass man sich erstmal eine kreative Pause gönnen werde. Unproduktiv waren die drei Künstler keinesfalls. Sascha veröffentlichte als Apparat sein Album »LP5«, die Jungs von Modeselektor machten im Duo weiter und produzierten die LP »Who Else« und das 27-­­Tracksschwere »Extended Mixtape«.

Parallel zu diesen Schreibarbeiten und ihren Solotouren fing das Trio aber schon 2019 wieder an, sich gemeinsam mit Moderat zu beschäftigen. Eine erste konzentrierte Studiophase war für den April 2020 geplant, musste angesichts der gerade ausgebrochenen Pandemie aber verschoben werden.

»Eigentlich hat das echt gut zusammengepasst«, erinnert sich Sascha, »so zynisch das auch klingt. Wir hatten die Solo-Projekten hinter uns und wollten eh ins Studio gehen. Die meisten meiner Musikerkollegen haben diesen Cut in ihrem Leben erstmal als ganz angenehm empfunden, man macht ja sonst immer weiter, ohne Pause.« Der Produktion des neuen Albums stand der Lockdown jedenfalls nicht entgegen.

»Man entwickelt beim Aufnehmen so eine Bubble«, sagt ­Sascha. »In dieser passieren aber neue Dinge, es wird viel herumexperimentiert, irgendwann kommt man in einen Flow. Diesmal war die Bubble eben noch kleiner als vorher, weil wir in der Isolationszeit wirklich nur zu dritt waren. Vielleicht noch mit der eigenen Familie, aber das war es an Input. Obwohl wir uns schon immer bei der Aufnahmezeit von außen abgeschottet haben, war das eine einzigartige Situation. Wir hocken ja eh den ganzen Tag zusammen im Studio, insofern hat das mit der Isolation eigentlich ganz gut gepasst. Bis zu einem gewissen Punkt — wenn man meint, dass es doch endlich mal weitergehen müsste, und emotional einen Zustand erreicht hat, wo man das alte Leben einfach vermisst«.

»MORE D4TA«, ein Anagram von »Moderat 4«, ist eine Anspielung auf die Informationsflut der letzten beiden Jahre. Die digitale Datenflut sei bezeichnend für diese Zeit, so Sebastian. »Der Datenstrom ist extrem präsent. Selbst Konzerte sind ja digital geworden.« I, II, III — die schlichten Titel der ersten drei Moderat-Alben kamen bewusst ohne bedeutungsschwangere Aufladung. Jetzt hat man sich für etwas neues entschieden. Auch das Artwork — ein Strudel, in den die Erde hinengesogen wird — steht als Symbol für »den Vibe der Zeit«, so Sebastian. »Man hat das Gefühl, dass die Menschheit sich gerade selber das Klo runterspülen möchte«.


Am Anfang waren wir ja nur drei Typen, die irgendwelche impro­visierten Liveshows gespielt haben
Sascha Ring

Aber auch musikalisch soll es weitergehen; für Moderat eine Gratwanderung: »Wir sind eben Moderat und wir mögen auch ­unseren Sound«, gibt Sascha zu. »Aber man muss im Detail nach den Möglichkeiten zur Weiterentwicklung suchen, um sich selbst zu kicken. Wir machen Musik auch wegen des Gefühls, als man früher im Studio aufgesprungen ist und zu tanzen angefangen hat, weil man so euphorisiert war«.

In zwei Jahrzehnten Bandgeschichte hat das Berliner Trio seinen eigenen Stil gefunden. Tief verwurzelt in elektronischer Tanz­musik, klingen Moderat auch heute noch nach Club, Rave und vor allem großen Gefühlen. Genau diese Emotionalität haben sie erfolgreich ins Poppige übersetzt, ohne dafür Glaubwürdigkeit einzutauschen. Sie holen ein breites Publikum ab, weit jenseits des ­Undergrounds. Es ist eine Kombination aus Apparats zerbrechlicher, menschlicher Stimme und den oft schroffen, synkopierten Beats und schrillen Synthesizern von Modeselektor.

Trotzdem kommt »Fast Land«, die erste neue Single, als Instrumental-Stück ohne Vocals. »Wir wollten nach der langen Pause einen Touchdown, der sofort nach uns klingt«, erklärt Sebastian. »Heutzutage ist es ja etwas wert, wenn bestimmte Dinge so bleiben, wie man sie in Erinnerung behalten hat. Ich lege mir eine Platte auf, weil ich ja ein bestimmtes Gefühl möchte, dass diese Musik bei mir auslöst. Bei Moderat ist das für mich schon immer so eine Wohlfühlzone«. Gernot ergänzt: »Im Prinzip ist es wie bei einem Kompass. Du nordest ihn erst einmal ein. Dann ist er kalibriert, danach wird sich der Rest zeigen.«

Trotz vieler Instrumentals sei das neue Album aber »definitiv eine Moderat-Platte geworden«, stellt Sascha überzeugt fest. »Da ist wieder dieses Gefühl einer glücksseligen Melancholie, die sich über das ganze Album hinzieht.« Bei der Reihenfolge der Stücke war ihnen besonders wichtig, eine Reise von Anfang bis Ende darzustellen. »Wir hatten diesmal mehr Material als früher und haben deshalb auch viel rausgelassen.« »MORE D4TA« sei reduzierter als die früheren ­Alben, auf denen auch ein paar Nummern seien, die man heute vielleicht nicht mehr so haben ­wolle, so Sebastian.

Am Ende haben es zehn Stücke geschafft, die sich langsam ­gegenseitig hochschaukeln und gespickt sind von delikaten Momenten der Innenschau genauso wie Phasen der wilden Ausgelassenheit — ein wahres Wechselbad der Gefühle. Das erhebende, klimaktisch anschwellende »Neon Rats« in der Albummitte erinnert unweigerlich an eine tanzende Menge, aus der sich tausende Arme ekstatisch gen Himmel recken. Für die Band ein integraler Bestandteil ihrer Arbeit: »Am Anfang waren wir ja nur drei Typen, die zusammen irgendwelche improvisierten Liveshows gespielt haben«, witzelt Sascha. Für Sebastian ist es »letztendlich der Grund, warum wir immer wieder zusammenkommen. Weil das Touren eben so Spaß macht. Man hat ganz andere Möglichkeiten«.

Eine digitale Aufführung von »MORE D4TA« dagegen war für Moderat auch während der Pandemie keine Alternative. »Man muss das spüren. Beim Livekonzert ist es wichtig, dass es physisch ist — dass man auch mal geblendet wird. Es muss eine körperliche ­Erfahrung sein!« Für Sascha ein Überbleibsel des Techno-Undergrounds von anno dazumal, als die drei Band­mit­glieder noch selbst regelmäßig auf Partys unterwegs waren: ­»Damals ging es um die gemeinschaftliche Erfahrung. In einer ­großen Gruppe von Leuten diesen Glücks­taumel zu erleben, das gibt einem ein Livekonzert im besten Falle auch.«

Auf die jetzt anstehende Tour freut sich Sascha deshalb besonders: »Früher war ich auf Tour oft überfordert, musste mich abschotten und es wurde mir zu anstrengend. Aber die Pause hat mir geholfen, zu realisieren, wie viel es wert ist, das man das überhaupt machen darf: Rumfahren, Leute treffen, neue Kulturen entdecken und dieses Gefühl jeden Tag aufs Neue geschenkt bekommen.«

Derzeit sind Moderat noch mit den Vorbereitungen zur Liveshow beschäftigt. Nach unserem Gespräch wird Sascha zu den anderen ins Studio fahren. Es geht heute um den visuellen Part der Show. »Das ist eine interessante Abwechslung, man hat dabei ganz andere Parameter im Blick«, sagt er. »Wenn dann alles zusammenkommt, gibt einem das nochmal einen anderen Input und inspiriert dazu, wie die Tracks live wachsen werden und sich nochmal verändern.« Gernot gibt noch zu bedenken: »Am Ende einer Albumproduktion ist man oft wirklich angespannt. Es gibt da so viele kleine Sollbruchstellen, auf die man achten muss. Aber jetzt, wo wir auf die Bühnenshow hin arbeiten, kommt der wirk­lich schöne Part.«

Ob es danach wieder fünf Jahre dauern wird, bis Moderat zurückkommen? Verschmitzt sagt Sebastian: »Wir gucken mal, wie’s läuft. Wir haben keinen Plan. Solange es noch Spaß macht, ist’s doch cool«.