Besonders eigentlich: Banga

Wahnsinnige Intensität

Neues von Banga, Flore, Gavilán Rayna Russom und Dusky

Es ist selbstverständlich schwer, aus der Entfernung Diagnosen über die Karrieren von Künstler*innen zu stellen; dennoch scheint es ­zumindest so, als ob die Corona-Pandemie dem Hype um die junge Gabunerin Banga wenig geschadet habe.

Von Paris aus, wo die DJ und Produzentin heute lebt, hat sie allein über Soundcloud eine Fangemeinde festigen können, die ihr mittlerweile vollständig ergeben ist. Dazu gehört(e) nicht nur der Amerikaner Diplo, sondern vor allen Dingen auch der mittlerweile verstorbene Designer und DJ Virgil Abloh. Als Kind vieler Länder — Banga wurde in Gabun geboren, lebte danach in Angola, Nigeria, Brasilien und nun eben Frankreich — verbindet sie so intuitiv wie stilsicher Musikstile der Südhalbkugel. Dem Daft-Punk-Klassiker »Too Long« verpasste sie erst unlängst einen neuen Anzug: gekleidet in Bailé Funk, verziert mit knallenden Claps und mit einer ordentlichen Filter-Synth-Bridge. Derweil erscheint nun auf dem Label Lavibe, das schon Bambonou und Simo Cell beheimatete, eine zwei Track-EP, die den bis­herigen Eindruck bestätigt: Bangas eigenwilliger House-Bass-­Global Dance-Entwurf feiert das Besondere als das Eigentliche. Der Sound des Kuduros, eines ango­lanischen Tanzes, dessen Tracks vor zehn Jahren in eingeweihten Kreisen ordentlich Airplay hatten, wird geschliffen und unpoliert zugleich gefeiert. Auf der A-Seite wird der Beat mit seinen prominenten Percussions durch Röhrenglocken-Sounds und Ein-Ton-Flöten konterkariert, was dem ganzen eine eigenwillige Trance-Artigkeit verleiht, auf der B-Seite frönt sie dem Kuduro als Fundament eines harten Deep-House-Tracks — einem Trick, den man auch schon von den Produktionen des südafrikanischen Sub-Genres Gqom kennt. Was hier ebenso vortrefflich funktioniert.

Das passt sehr gut zu den Tracks, die uns Flore auf »Legacy & Broken Pieces« serviert. Was nicht wirklich überrascht, da die Lyonerin ihren Sound in den letzten Jahren einer kontinuierlichen Metamorphose unterzogen hat. Wo einst die HipHop-Anleihen deutlich durchschienen, steht spätestens seit der 2020er-LP ­»Rituals« ein schriller, flirrender Drum-and-Percussion-based Sound im Zentrum ihres Oeuvres. Behende stolpernd und synkopierend, dann wiederum straight und mit Vollgas, trommelt sich Flore in ein eigenes Klanguniversum, das den Charme der Polyrhythmik ent­faltet, wenn man es am wenigsten erwartet. Zwischen all den Brüchen und Breaks bleibt kaum Zeit zum Verschnaufen.

Verschnaufen? Kann man sich bei der neuen EP von Gavilán Rayna Russom ebenso geflissentlich aus dem Kopf schlagen. Nicht etwa, weil die Platte sonderlich tanzbar wäre, sondern auf Grund ihrer wahnsinnigen Intensität. Schon »An Eternal Unfolding« ist ein mächtiges Stück, das über acht Minuten immer weiter kracht und zischt. Die Elektrizität ist nicht nur hörbar, sondern fast schon spürbar, das langgezogene Bass-Arpeggio und die verfluchten Schreie aus einem Paralleluniversum runden den Eindruck ab: Das ist hier eine moderne Interpretation von Industrial. Russom hat seit ihrem Trans-Outing eine sound-ästhetische Ausdrucksweise gefunden, die zwar immer noch von Postpunk, Minimal Wave und JakBeats inspiriert ist, sich dennoch so weit von der Tanzfläche entfernt hat, dass sie nicht mehr Sound einer Party ist, sondern eher einer für die bisweilen einsamen Minuten davor und danach. Was man aber nicht falsch ver­stehen sollte, das ist sicher keine Chill-Out-Musik! Ganz im Gegenteil: »Slabs Vol. 1« ist eine Sonde für besonders tiefe Risse in der ­eigenen Psyche.

Da man bekanntlich stets auf einer high note enden soll: Belustigend ist dann doch die »Stick By This«-Remix-EP von Dusky. Erinnert sie einen doch daran, dass immer dann, wenn man glaubt, Musikströmungen stürben aus, ­irgendjemand doch noch einen harmonischen Tech-House-Sound pflegt. In seiner verklebten Hängengebliebenheit ist die Platte ein starkes Zeichen: Bestimmte Dancefloors sind einfach nicht totzukriegen. Das ist doch auch mal etwas Schönes — selbst wenn man nicht hingeht.

Banga, »Latitude 0°0’0«« (Lavibe, bereits erschienen)

Flore, »Legacy & Broken Pieces« (Polaar, erscheint am 4.5.)

Gavilán Rayna Russom, »Slabs Vol. 1« (Voluminous Arts, bereits erschienen)

Dusky, »Stick by this» (Anjunadeep, bereits erschienen)