Von der Vergangenheit lernen: Emma Dabiri © Stuart Simpson/Penguin Books

»Wir brauchen nicht nur Diversität der ­Gesichter, sondern auch der Ideen«

Zeitgenössischer Antirassismus fördere keine Solidarität, so Emma Dabiri im Bestseller »Was weiße Menschen jetzt tun können.« Im Interview sagt sie, warum Streiks wichtiger als Beyoncés Superbowl-Performance sind und wie die Weiße und Schwarze Arbeiterklasse zusammenkommen kann.

Frau Dabiri, mit »Was Weiße ­Menschen jetzt tun können« haben Sie ein Buch über Rassismus geschrieben, das vom Schwarzen Marxismus inspiriert ist und ein Bestseller wurde. Wie haben Sie das ge­schafft?

Emma Dabiri: Lustige Frage. Ich wollte den liberalen Mainstream-Antirassismus kritisieren. Also habe ich es wie ein Selbsthilfe-Buch für Weiße Menschen benannt — ein momentan sehr populäres Genre. Die Idee war, die aktuelle, eher mangelhafte Debatte über Rassismus mit den Erfahrungen einer älteren Generation von Aktivist*innen zu verbinden, die wesentlich kollektiver gedacht hat. Ich habe die Form benutzt, um die Form zu kritisieren.

Anti-Rassismus-Maßnahmen wie das Reflektieren von Privilegien oder Selbstverpflichtungen zu Diversity haben auch deutsche Institutionen in Politik und Wirtschaft erreicht. Was ist daran ­problematisch?

Es gibt ein fundamentales Unverständnis darüber, wie Rassifizierung entsteht, wie Rassismus einzelnen Gruppen eine gesellschaftliche Position zuweist und welche Rolle all dies im Kapitalismus spielt. Stattdessen konzentriert man sich auf individuelle Äußerungen von ­Rassismus wie Mikroaggressionen. Und als Lösung soll sich das Weiße Individuum verändern, anstatt danach zu fragen, wie man sich strategisch organisieren und ökonomische Ungleichheit bekämpfen kann. Oder es geht um die Repräsentation Schwarzer Menschen. Bei den Oscars hat Jay-Z eine große Party für Hollywood A-Celebrities veranstaltet — in einem Hotel, wo die Schwarzen Angestellten gegen sexuelle Übergriffe und rassistische Diskriminierung am Arbeitsplatz protestiert haben. Sie waren im Streik und hatten Jay-Z gebeten, die Party abzusagen. Aber er und alle anderen Celebrities, auch die Schwarzen, haben den Streik gebrochen.

Jay-Z und seine Frau Beyoncé ­gelten als Schwarze Vorbilder. Sie haben Black Lives Matter finanziell unterstützt, was ihnen sehr viel Publicity eingebracht hat. Ist der Kampf gegen rassistische ­Polizeigewalt akzeptierter als der gegen Rassismus am Arbeitsplatz?

Der Filmemacher Boots Riley hat einmal gesagt, dass Streiks oder Proteste von Arbeiter*innen einst als enorm bedrohlich wahrgenommen wurden, weil sie den Kapitalismus gestört haben. Mit dem Aufkommen der Studierendenproteste in den 60er Jahren rückte dann die symbolische Dimension in den Vordergrund. Auch so etwas wie die Black-Panther-Performance von Beyoncé beim Super Bowl ist zunächst ein Symbol. Hinzu kommt, dass sich die Strategie vieler prominenter Schwarzer Aktivisten ab den 80er Jahren geändert hat. Anstelle von Umverteilung haben sie auf verbesserte Inklusion und Repräsentation Schwarzer Menschen ge­setzt. Ich habe deshalb ein Kapitel über die Umverteilung von Ressourcen geschrieben. Und natürlich verfolge ich interessiert, was gerade bei Amazon passiert, wo es einem Schwarzen Lagerarbeiter, der gefeuert wurde, gelungen ist, eine Gewerkschaft in einem der Lagerhäuser zu gründen.

Ein Satz aus Ihrem Buch ist mir im Gedächtnis geblieben. Weiße Menschen, schreiben Sie dort, müssten realisieren, dass »dieser Scheiß auch sie umbringt«. Sie  erläutern dann, wie »Weißsein« und »Schwarzsein« als Kategorien historisch entstanden sind und welche Rolle sie bei der Entwicklung des Kapitalismus in Großbritannien und den USA gespielt haben. Wie sind die Reaktionen Ihrer Leser*innen darauf?

Diese Ideen sind komplexer als die sehr binären und eindimensionalen Ideen über Rassismus, die besonders online diskutiert werden. Deshalb wollte ich sie so zugänglich wie möglich darstellen. Und viele Menschen, die als Weiß rassifiziert worden sind, haben mir geschrieben, dass meine Darstellung Sinn für sie ergebe. Sie könnten sich vorstellen, sich für so etwas zu engagieren. Obwohl mein Buch radikaler als viele andere antirassistische Literatur ist, ist es zugleich inklusiver.

Es ist sinnvoller, politische Theorie und literarische Repräsentationen von Schwarzsein zu lesen als Selbsthilfe­bücher, wie man ein besserer Weißer Mensch wird

In »Was Weiße Menschen jetzt tun können« nennen sie den Black-Panther-Aktivisten Fred Hampton, der in den 60er Jahren in Chicago lebte, als Beispiel, wie man die Ideen des Buchs umsetzen könne.

Wie Angela Davis oder Martin Luther King wollte auch Hampton eine Massenbewegung aufbauen, um seine Ideen besser durchsetzen zu können. Also hat er eine Regenbogen-Koalition gebildet: mit den Young Lords, einer Gruppe junger Puerto-Ricaner, und den Young Patriots, einer Gruppe junger, armer Weißer. Die hatten zwar keinen Rassismus erlebt, aber Erfahrungen mit ­Polizeigewalt und verringerten Lebenschancen gemacht. Hampton hatte erkannt, dass es zwischen diesen Gruppen genügend strukturelle Gemeinsamkeiten gibt, dass sie sich gemeinsam strategisch organisieren konnten. Das war keineswegs selbstverständlich: Die Young Patriots hatten am Anfang die Südstaatenflagge als Symbol. Aus Respekt für Hampton haben sie davon Abstand genommen. Als Hampton 1969 von der Polizei erschossen wurde, fiel diese Bewegung auseinander, ohne dass sie ihr Potenzial nutzen konnte. Ich glaube, es war gut, dass diese Bewegung klare Forderungen stellte und Parallel-Institutionen wie Frühstückstafeln für arme Schwarze Kinder aufgesetzt hat. Und das ist ein Unterschied zu Forderungen wie Diversität oder Repräsentation, die sehr leicht vereinnahmt werden können. Außerdem fördert es ein Gefühl von Kollektivität.

Bei aller Kritik an einer Politik der Repräsentation spielen Kultur und Medien eine wichtige Rolle.

Ja, aber es wäre gut, wenn man neben einer Diversität der Gesichter auch eine Diversität von Ideen hätte Außer­dem denke ich, es ist sinnvoller, politische Theorie und literarische Repräsentationen von Schwarzsein zu lesen als Selbsthilfebücher, wie man ein besserer Weißer Mensch wird. Fred Motens Idee der »Fugitivity«, einer Fluchtbewegung, ist ein radikaler Gegenentwurf zur Inklusion. Und der zeigt sich auch in der radikalen Schwarzen Tradition von Musik, von Jazz bis zu Techno.

Emma Dabiri: »Was weiße Menschen jetzt tun können – Von »Allyship« zu echter Koalition«, Ullstein, 192 Seiten, 12,99 Euro.