Liest gerne, mag aber auch Musik: Marcel Beyer

Fakten und Nichtfakten

Marcel Beyer und der Einfluss des Nichtliterarischen auf die Literatur

»Ich reise auf dem Papier, reise in der Zeit«, heißt es in einem ­Gedicht aus Marcel Beyers aktuellem Gedichtband »Dämonenräumdienst«. Zwischen Kunst und Geschichte, historischer Realität und ihrer künstlerischen ­Gestaltung ist die Literatur des 1965 geborenen Autoren angesiedelt. »Die Poetik des Möglichen« lautet entsprechend der Titel einer wissenschaftlichen Monografie zu Beyers Roman »Flughunde«, die sich mit dem Verhältnis von »historischer Realität« und »literarischer Wirklichkeit« beschäftigt. Historische Realität ist in »Flughunde« der Nationalsozialismus, literarische Wirklichkeit die Lebenswelt des Akustikers Hermann Karnau, der für die Beschallung der Reden von Hitler und Goebbels zuständig ist, sowie die Perspektive von Helga Goebbels, der ältesten Tochter des ­Propagandachefs. Die Verbindung zwischen literarischer Wirklichkeit und historischer Realität wird über die Geräusche hergestellt, die Sounds, für die Karnau zuständig ist. Dieser Zwischenbereich ist es, den Beyer in vielen seiner Werke ins Zentrum rückt, sei es in seiner Auseinandersetzung mit dem Nature Writing, ­seiner Lyrik oder den poetologischen Untersuchungen in »Das blindgeweinte Jahrhundert« von 2017, worin es ähnlich wie in »Flughunde« die technischen ­Voraussetzungen des Erschaffens von Kunst sind, die im Mittelpunkt stehen und zwischen künstlerischer und außerkünstlerischer Realität vermitteln: »Aber ein Photograph, und sei er auch Mitglied einer Propagandakompanie, kann nur festhalten, was sich vor seinen Augen abspielt, sage ich fast noch im selben Atemzug, er kann, wenigstens solange er durch den Sucher seiner LEICA schaut, nicht beim Töten helfen.«

»Die Vermischung von Fakten und Nichtfakten, vom Imaginären und Wirklichen ist ja das, was ich als Schriftsteller mache«, hat Beyer über sein Schreiben gesagt. »Ich liebe es sehr, in meinen Texten ein Detail als Ausgangspunkt zu nehmen, welches sich in der Wirklichkeit verorten lässt, um von dort ganz leichte Verschiebungen in eine imaginäre Welt vorzunehmen.« Bei Beyers Lesung in Köln wird mit dem Gedichtband »Dämonenräumdienst« das Literarische im Mittelpunkt stehen, vom Autor kommentiert und im Gespräch mit Christof Hamann und Anja Lemke nach ihrer Entstehung und ihren außerliterarischen Einflüssen befragt.