Der Aktivist als Schlachtenmaler: Norman Junge beim NATO-Manöver, Foto: Axel Krause

Teddybär mit Armbruch

Der Kölner Illustrator Norman Junge ist gestorben. Er hat das Groteske am Schrecken gezeichnet

Das Café Lichtenberg in der Innen­stadt sei sein Büro, hat Norman Junge einmal gesagt. Nicht weit davon entfernt hat er auch gewohnt. Dass für jemanden das Neumarkt-Viertel die Nachbarschaft ist, erscheint uns heute als exotisch, weil diese Straßen wie eine einzige Shopping Meile aussehen, auf der sich allenfalls Millionäre ein Penthouse leisten können. Aber Junge wohnte schon lange in dieser immer unwirtlicher wirkenden Gegend, und er war ein lebendiges Beispiel dafür, dass es in Köln früher anders ­aussah. Das muss man auch wortwörtlich verstehen: Für künstlerische Interventionen nutzte Junge den öffentlichen Raum, sprayte politische Grafiken und platzierte eine monströse Raketenattrappe schon mal in einem Gulli.

Norman Junge, 1938 in Kiel ­geboren, war Illustrator (u.a. für unseren Gastroführer Tagnacht), Karikaturist, Bildhauer, Werbegrafiker, Maler — und politischer Aktivist, der den Sarkasmus der 68er auf eigenwillige Weise fortsetzte. 1986 heuerte er als »Schlachtenmaler« beim NATO-Manöver »Cold Fire« an und malte zwischen Panzern und imaginären Frontlinien herumstaksend in Echtzeit groteske Bilder von Panzerdurchbrüchen. Das war schon mehr als Satire, denn seine Bilder und Skizzen wirken auch ohne diesen lächerlichen Kontext. Als Kind hatte er die Bombenangriffe auf seine Heimatstadt erlebt, ein Ereignis, das ihn zutiefst geprägt habe, wie er erzählte. Schon damals fiel ihm das Groteske an dieser lebensgefährlichen Situation auf: Als Sperre gegen die alliierten Fliegerverbände ließ die Flugabwehr Dutzende Fesselballons ­aufsteigen. Das Kind staunte.

Das kindliche Staunen hat er sich bewahrt und wohl für sein bekanntestes Werk produktiv ­gemacht: Norman Junge war ein liebevoller, verschmitzter Kinderbuchillustrator, der die Texte nicht bloß bebilderte, sondern weiterdachte und fantasievoll ausschmückte. Legendär und preisgekrönt ist seine Umsetzung von Ernst Jandls Gedicht »Fünfter sein«, es geht um das bange Warten der kleinen Patienten vor dem Termin beim Doktor.

Im Wartezimmer hocken aber keine Kinder, sondern ihre lädierten Spielzeuge, ein Teddybär mit gebrochenem Arm oder eine ­defekte Aufziehkröte. Wo Jandl knapp und lakonisch ist, verwandeln Junges Bilder die Pein der Wartezeit in etwas Geheimnis­volles.

Am 31. März ist Norman Junge nach schwerer Krankheit ver­storben, die Innenstadt ist wieder ­etwas farbloser geworden.