Hat sich schon warm angezogen: Eckardt Heukamp, Foto: Thomas Schäkel

Hoffnung für das verlorene Dorf

Ein Gericht hat entschieden: RWE darf das Dorf Lützerath vollständig abreißen. Doch vor Ort geht der Widerstand weiter

»Das ist mein Zuhause. Ich kenne diese Orte seit meiner Kindheit und habe viele Erinnerungen an sie«, sagt Alexandra Brüne vom Bündnis Alle Dörfer bleiben. Sie steht auf der L277, der Zufahrtsstraße zum Dorf Lützerath. Aufgewachsen ist Brüne in einem der umliegenden Dörfer am Rand des Braunkohletagebaus Garzweiler II. Eine Hand hält sich Brüne zum Schutz vor der Sonne vor die Augen, mit der anderen zeigt sie in die Ferne und deutet die Route ­ihres Schulbusses an, der offen­bar damals schon großzügig den ­Tagebau umfahren musste. Lützerath liegt nur wenige hundert ­Meter von der Kohlegrube entfernt, der das Dorf zum Opfer ­fallen könnte.

Wenn es nach dem Energiekonzern RWE geht, dann rückt der Tagebau immer dichter an den Ort heran und schließt ihn schließlich vollständig ein. Die Klimabewegung will das verhindern, Aktivist*­innen sind sich einig: Die Grenze zum Tagebau symbolisiert die 1,5-Grad Marke des Pariser Klimaabkommens. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bestätigt, dass der Schaufelradbagger Lützerath nicht erreichen dürfe, wenn Deutschland sein Treibhausgas-Budget einhalten wolle.

Auf Druck des Konzerns haben nach und nach nahezu alle Bewohner*innen das Dorf verlassen. Der Landwirt Eckardt Heukamp aber wehrte sich. Gerichtlich ging er gegen die vorzeitige »Besitzeinweisung« vor. Der Klima­bewegung stellte er auf ­seinem Grundstück Flächen zur Verfügung, auf denen die Aktivist*­innen ein Camp errichteten. So wuchs das kleine rheinische Dorf in den vergangenen Jahren zu einem Sammelpunkt der Bewegung heran. Ende März entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster jedoch zugunsten von RWE und gegen Heukamp. Seine Grundstücke gehen noch vor einem Enteignungsverfahren in ­den Besitz des Konzerns über. Damit ist die Rechtslage letztinstanzlich geklärt.

Mit RWE soll sich Heukamp ­bereits über den Erwerb seiner ­Flächen geeinigt haben. Zum 1. September soll er den Ort ver­lassen. Auf Anfrage heißt es vom Energieversorger dazu: »Die Einigung mit Herrn H. lässt ihm Zeit, seine Dinge zu regeln, die Über­gabe vorzubereiten und seinen ­Umzug zu organisieren und durchzuführen.«

Aktivist*innen jedoch wollen den Ort verteidigen, ihn »unräumbar« machen. In Sichtweite der Grube bauen sie Baumhäuser, ­besetzen Häuser, machen auf sich aufmerksam. Alexandra Brüne stimmt das zuversichtlich, sie ­erzählt: »Noch bevor ich als Kind wusste, was Klimaaktivismus ist, habe ich mit meinem Bruder Dinge gesagt wie: Wir ketten uns an die Heizung, wir machen Hungerstreik. Jetzt sind Menschen hier, die dazu bereit sind.«

Heukamps Gegenwehr wirkte für Lützerath wie ein Schutzfilm. Ohne ihn scheint die Lage zerbrechlicher. Das sieht auch Brüne so. Sie sagt: »Ich finde unglaublich, dass er überhaupt so lange durchgehalten hat. Für mich ist der Schritt, den er jetzt macht, ­total verständlich.« Auf Demonstrationen trägt der Landwirt nun ein T-Shirt mit der Aufschrift »Alle Dörfer bleiben«. In einem Redebeitrag forderte er, dass die Politik  endlich Verantwortung übernehmen müsse.

Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND NRW, spricht davon, dass die Sache »formal und juristisch klar« sei. Mit Beginn der Rodungssaison im Herbst dürfe RWE das Dorf abreißen. Politisch sei die Situation eine andere. Jansen sagt: »Wenn man sich die Entscheidung des OVG im vorzeitigen Besitzeinweisungsverfahren anschaut, dann ist zu sehen, dass die Verantwortung über Lützerath wunderbar wieder zurück zur Politik ­geschoben worden ist.« Die Hoffnung auf den Erhalt des Dorfes liege in der Landtagswahl. »Wir ­erhoffen uns, dass schnell Sondierungsgespräche und Koalitionsvereinbarungen zustande kommen, die eine Bestandsgarantie beinhalten«, so Jansen. »Wenn man jetzt überlegt, welche Koalition aus Sicht von Klimaschützer*­innen die beste wäre, dann muss ich sagen: Ich weiß es nicht.«

Klar sei aber, dass der Widerstand ­weitergehen werde — auch dann, wenn Bagger anrollen, um das ­Tagebauvorfeld zu räumen. Jansen fügt hinzu, dass es »natürlich neue Proteste provozieren wird, wenn der Koalitionsvertrag Lützerath den Baggern zum Fraß vorwirft«. Das sei kein Geheimnis.