Vor dem Ukraine-Krieg geflohen: Enouch (links) und Paloma (rechts) mit Helene Batemona-Abeke von Pamoja Afrika, Foto: Jennifer Rumbach

»Wir fliehen doch alle vor den ­gleichen Bomben«

Kriegsflüchtlinge ohne ukrainischen Pass haben auf der Flucht rassistische Erfahrungen gemacht. In Köln setzt sich die Ungleichbehandlung fort

Ein Studium in der Ukraine — das war Palomas großer Traum. Ein besseres Leben für sich und ihre Familie. Dafür haben ihre Verwandten in Nigeria ihr gesamtes Geld zusammen gelegt. Dann kam der Krieg. Nach Nigeria könne sie auf keinen Fall zurückkehren, sagt Paloma, die in wenigen Wochen ihren VWL-Abschluss an der Uni in Kiew gemacht hätte. »Nicht mit leeren Händen«, sagt die 24-Jährige mit brüchiger Stimme, während sie auf dem Sofa von »Pamoja Afrika« sitzt. Seit 2004 unterstützt der Verein die afrikanische Community beim Ankommen in Köln und engagiert sich in der ­Antirassismus-Arbeit. Zwanzig junge Menschen, die meisten aus Nigeria, quetschen sich an einem sonnigen Tag im Mai in den kleinen Raum in der Nähe des Neumarkts. Gleich gibt es Mittagessen, das der Verein für die rund 90 afrikanischen Studierenden, die aus der Ukraine geflüchtet sind, täglich anbietet. »Ohne ­Pamoja Afrika wüsste ich nicht mehr weiter«, sagt Paloma.

Als People of Color seien sie auf der Flucht schlechter behandelt worden, erzählen die Studierenden. Sie berichten, dass ihnen in Lviv der Zugang zum Bus, der die Flüchtlinge die letzten 35 Kilometer bis zur Grenze bringt, verweigert worden sei. »Der war nur für Leute mit ukrainischem Pass. Wir mussten laufen«, sagt die 24-jährige Zoe, die in Charkiw kurz vor dem Abschluss ihres ­Medizinstudiums stand. An der Grenze seien Ukrainer und Nicht-Ukrainer in zwei Schlangen aufgeteilt worden, sie mussten teils ­tagelang warten. Grenzsoldaten hätten Schüsse abgefeuert und Pfefferspray eingesetzt. Sie verstehe nicht, warum sie auf der Flucht und auch hier in Köln anders ­behandelt werden. »Wir sind Geflüchtete zweiter Klasse, dabei laufen wir doch alle vor den gleichen Bomben davon!«

Nach Angaben der Unesco gab es vor Kriegsbeginn mehr als 70.000 internationale Studierende in der Ukraine, viele stammen aus afrikanischen Ländern, vor ­allem aus Nigeria. Man schätzt, dass etwa 3.000 nach Deutschland geflüchtet sind. Eine EU-Verordnung treibt die Ukraine-Geflüchteten aus diesen sogenannten Drittstaaten zur Ver­zweiflung. Denn die »EU-Massenzustrom-Richtlinie« gewährt ukrainischen Geflüchteten Rechte wie den sofortigen ­Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen, Arbeitsmarkt, ­Bildungssystem und Integrationskursen, die anderen verwehrt werden. Während ukrainische Geflüchtete eine Aufenthaltserlaubnis für bis zu drei Jahre bekommen, ist die Lage für Menschen aus Drittstaaten ungewiss. Ohne Visum dürfen sie nur bis Ende ­August in Deutschland bleiben.

Pamoja Afrika, der Kölner Flüchtlingsrat und andere Initiativen haben die Stadt Köln kritisiert und Stadt und Bund aufgefordert, Flücht­linge aus Drittstaaten rechtlich mit ukrainischen Geflüchteten gleich zu stellen. Die Betroffenen müssten mindestens eine »Fiktionsbescheinigung« von der Stadt erhalten, die einem vorübergehenden Aufenthaltstitel entspricht und die Eintrittskarte für Arbeit, Studium, Integrationskurse und Sozialleistungen sei.

Die Stadt weist Diskriminie-rungs­­­­­vorwürfe zurück und erklärt, dass gemäß Paragraph 24 des Aufenthaltsgesetzes alle Geflüchteten aus Drittstaaten eine Aufenthaltserlaubnis bekämen, die mit ­ukrainischen Staatsangehörigen verheiratet sind oder aus einem Herkunftsland kommen, in das sie nicht sicher und dauerhaft zurückkehren könnten. Mit allen anderen werde das Ausländeramt »Gespräche aufnehmen und nach anderen Lösungsmöglichkeiten suchen«, so eine Stadtsprecherin.

Laut Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat werden Anträge von Drittstaatlern von der Kölner Ausländerbehörde derzeit aber gar nicht bearbeitet: »Das Kölner Ausländeramt sagt, dass sie nicht wissen, nach welchen Kriterien sie entscheiden sollen, weil der Bund nur wenige Vorgaben gemacht habe.« Aber genau diesen Ermessensspielraum könne die Stadt nutzen und wohlwollend »Fiktionsbescheinigungen« ausstellen, so wie es Hamburg, Stuttgart oder Berlin gemacht wird, ­fordert Prölß. Ohne Aufenthaltstitel kein Studium — für die afrikanischen Studierenden steht alles auf dem Spiel: »Das Geld, das ihre Familien in sie investiert haben, wäre verloren«, so Helene Batemona-Abeke, Vorsitzende des ­Vereins Pamoja Afrika.