Queere Clubkultur mit Performance: »A Kinky Midsummer Night’s Dream« von Chin Chin, Foto: Chin Chin

Endlich frei

Britney X widmet sich Grenzen und Grenzenlosigkeit der Körper unserer modernen Zeit

Das vom Schauspiel Köln ausgerichtete Britney X Kulturfestival geht in die fünfte Runde. Über drei Tage werden wieder queerfeministische und antirassistische Diskurse in Theater, Musik und Tanz verhandelt. Panels, Workshops und Kunstinstallationen ergänzen das Programm. Erstmalig verschiebt sich die Spielstätte von der angestammten Location am Offenbachplatz auf verschiedene Kulturräume der Stadt. Neu hinzu kommen Stadtgarten und Ebertplatz sowie das Werkstättengelände in Ehrenfeld.

»Dadurch dass wir die Einrichtung am Offenbachplatz aktuell nicht nutzen können, haben sich für uns ganz neue Möglichkeiten ergeben. Wir wollen bekannte und unbekannte Stadträume erschließen. Das Festivalzentrum liegt im Stadtgarten, für uns ein Ort der Begegnung, der den Community Charakter des Festivals unterstreichen soll«, erzählt Dominika Široká, die zum Kuratorenteam des Festivals gehört. Audiowalks im Park, eine Fahrzeugperformace ausgehend vom Ebertplatz und Ballettaufführungen auf dem Werkstättengelände in der Oscar-Jäger-Straße: Kultur bleibt nicht hinter verschlossenen Türen, sondern wird dezentral und für alle sichtbar ausgerichtet. Über die letzten zwei Jahre, in denen das Britney X erst in den digitalen Raum verlegt und dann 2021 sogar vollständig abgesagt werden musste, bündelte sich neue Energie für ein diverses und hochpolitisiertes Festival.

Das diesjährige Thema lautet »Körper« und zieht sich äußerst ­facettenreich durch das Programm: Drag-Bingo-Partys, Workshops über Safer Sex oder Scham, eine Fotoausstellung zu Frauen in der Selbstständigkeit, Virtual Reality Reisen in den eigenen Körper oder die Videoinstallation »NICELY ­NICELY ALL THE TIME!«, die rassistische Softwareprogramme ­unter die Lupe nimmt. »Körper spielen in feministischen und antirassistischen Diskursen schon seit längerem eine zentrale Rolle. Wir wollen mit Britney X die Perspektiven von Menschen abseits einer weißen, hetero, Cis, nicht behinderten Norm zeigen«, sagt Dominika Široká. »Auf der anderen Seite spüren wir dem Körper im Zeitalter der Digitalisierung nach und der Frage, wie er anhand digitaler Technologie entgrenzt werden kann.«


Wir wollen bekannte und unbekannte Stadträume erschließen
Dominika Široká

Bizarr, witzig, informativ und angenehm außergewöhnlich, so findet das Thema im Programm seinen Ausdruck. Das ist es auch, was Hanna Koller dazu bewegt, einen Beitrag zum Festival zu leisten. »Das Britney X Festival gibt mir die Freiheit, außerhalb meines klassischen Tanzprogramms mal von der Norm abzuweichen und den Rahmen zu sprengen«, sagt die langjährige Kuratorin von tanz.koeln.

Diesem Anspruch wird das von Koller eingeladene Tanzprojekt »Habitat« der österreichischen Choreographin Doris Uhlich mit Sicherheit gerecht: In ihrer Produktion tanzen Menschen auf einem Klangteppich von New Wave und Techno — und zwar vollkommen nackt. In seiner Hüllenlosigkeit wird der Körper nicht sexualisiert, sondern von Degradierung und Scham befreit und als materielles Zusammenspiel zwischen Stärke und Fragilität verstanden. Auch hier wird die Stadt flächendeckend mit einbezogen, indem die Performer*innen per Aufruf allesamt aus Köln rekrutiert und das Stück über mehrere Workshops gemeinsam erarbeitet wurde. »Doris Uhlich verfolgt den Ansatz, körperliche Diversität auf die Bühne zu bringen, also auch alte Menschen, People of Colour, Transpersonen sowie ein breites Spektrum an Körperformen«, sagt Koller. »Ein provokatives Erdbeben für die Tanzwelt, in der fast ausschließlich gestählte, schlanke, junge Körper sichtbar sind. Habitat bietet die Möglichkeit, einen Anteil einzubringen, der komplett aus der Reihe fällt und der sowohl den Raum des Tanzes und als auch den des Körpers erweitert«, findet Hanna Koller.

Erweiterung, Handlungsspielraum, Freiheit, das sind die Ebenen des Britney X Festivals, das Fesseln sprengen möchte, die sich aktuell offensichtlich wieder enger um die Körper schlingen. Bei allen unheilvollen Entwicklungen, die sich in den USA derzeit beim Thema Abtreibung zeigen, findet sich ein Lichtblick ausgerechnet bei Namenspatronin Britney Spears, die Ende 2021 nach 13 Jahren ihre Vormundschaft wiedererlangte und Bestärkung auf dem Weg eines Kampfes verspricht, an dessen Ende eine Welt steht, in der alle Britneys beweglich sind und frei.

10.-12.6., diverse Spielorte