Doppelexistenz: Belle virtuell

»Belle«

Hosoda Mamoru variiert voller Einfallsreichtum »Die Schöne und das Biest«

Nachdem ihre Mutter bei einem Unfall ums Leben kam, kann Suzu nicht mehr singen. Ihre Familie besteht nun aus einer kleinen Schar alter Freunde, die sich Sorgen um sie machen. Eines Tages schlägt Tüftlerin Hiro vor, Suzu solle sich doch ein zweites Leben zulegen — in Form eines Avatars in einem digitalen Paralleluniversum, durch den sie dann vielleicht auch wieder singen kann. Also hilft sie Suzu bei der Schöpfung von Bell (Englisch: »Klingel«, Japanisch: »suzu«), einer sommersprossigen Schönheit gesegnet mit einer herrlichen Stimme. Diese macht sie bald zu einem Star in dieser anderen Welt — wo ihre Fans sie nun Belle nennen. Als eines Tages bei einem ihrer Konzerte ein Drache auftaucht, für Unruhe und schließlich den Abbruch ihres Auftritts sorgt, eröffnen sich völlig neue Erfahrungshorizonte für Belle.

Die japanische Animation ist weltweit einzigartig aufgrund der Qualität ihrer Drehbücher. Zumindest ihre Meister von Miyazaki Hayao über Yuasa Masaaki bis ­Hosoda Mamoru, Regisseur von »Belle«, verlassen sich nie allein auf ihr gestalterisches Können, den Reichtum ihrer Fantasie, sondern schauen, dass jedes Werk weltweise ist und Tiefe hat.

»Belle« (der Originaltitel »Ryū to sobakasu no hime« bedeutet »Der Drache und die Prinzessin mit den Sommersprossen«) ließe sich ganz einfach erst einmal als Variation von »Die Schöne und das Biest« beschreiben. Interessant wird es, weil sowohl die Schöne wie das Biest zwei Existenzen haben: in der Realität und in der Virtualität, was viel Raum eröffnet für interessante Gedankenspiele. Wie verhalten sich etwa die verschiedenen Wesen zueinander, die wir nun einmal sind — das gesellschaftlich definierte Geschöpf und jenes, das wir sind, wenn wir spielen, träumen dürfen?

In »Belle« erlangt diese Frage etwas Schicksalhaftes, wenn klar wird, dass beide hier dasselbe Trauma erlitten haben. Und das ist nur das erzählerische Rückgrat. Zu den Rippen gehören Gedanken zu Gesellschaft und Gewalt, die eine Figur mit Namen Justin aufwirft, ein Vigilante, aber auch zum juristischen Umgang mit Kindesmissbrauch. Und ja, das alles wird verpackt in einen knallbunten Animationsfilm für die ganze Familie, der vor wahnwitzigen visuellen Einfällen strotzt und fast Musical-prall mit eingängigen Liedern gefüllt ist.

(Ryū to sobakasu no hime) J 2021, R: Hosoda Mamoru, 121 Min.