»Richard Drei«: Im Schwanen-Mobil durch queere Pop-Ästhetik, Foto: Krafft Angerer

Superschurkin am Kipppunkt

Das Schauspiel zeigt einen mitreißenden »Richard Drei«

Der Frieden ist für sie unerträglich. Richard ist Soldatin durch und durch. Auf dem Schlachtfeld konnte sie das sein, was ihr im zivilen England des 15. Jahrhunderts versperrt ist: Gleiche unter gleichen, Gender egal. Dass der Krieg endet, wird daher in Katja Brunners Shakespeare-Überschreibung »Richard Drei« im Depot 1 zum psychologischen Kipppunkt: Plötzlich in eine Frauenrolle zu schlüpfen, dienend, sexuell gefällig, sorgend, ist keine Option. Also wird Richard zur Superschurkin und setzt eine unaufhaltsame Maschinerie aus Mord und Intrigen in Gang.

Yvon Jansen spielt Richard in der Inszenierung von Pınar Karabulut so lässig wie mitreißend. Mit Spott über Tradition und höfische Sitten lockt sie das Publikum auf ihre Seite. Sie flirtet, droht, lästert, rationalisiert, intrigiert, mordet — bis sie endlich »Könixin« wird, wie es bei Brunner poetisch gegendert heißt. »Richard Drei« zeichnet das Bild eines Machtmenschen außer Kontrolle. So schleicht sich die Gegenwart ins Theater ein, ohne dass jemand »Putin« gesagt hätte.

In ihren Stücken verbindet die Schweizer Autorin Katja Brunner, Jahrgang 1991, das Wasserfall-Plaudern von Influencer*innen mit scharfen Gesellschaftsanalysen und der Lust an genderfluider Sprachanarchie. »Bleib bei dir, hab Geduld!«, ruft Richard einmal ihrem Bruder Clarence (Lola Klamroth) zu, als dieser — auf ihr Betreiben hin — verhaftet wird. Im Tower »bei sich« zu bleiben, das bringt ganz wunderbar den Grundwiderspruch der Achtsamkeits-Ratgeber auf den Punkt: Sie ignorieren gesellschaftliche Zwänge, indem sie einfach ein positiveres Mindset empfehlen.

Regisseurin Karabulut fährt gern große Theatermagie auf, zuletzt auch in die Web-Serie »Edward II«, und bricht sie ironisch: Flüche werden von Blitz und Donner flankiert, Richard saust im Schwanen-Mobil durch die Disneyschlosskulissen von Michela Flück. Neonbunte, queere Pop-Ästhetik trifft auf Slapstick.

Karabulut zeigt ihre Figuren immer auf Augenhöhe, sie lässt sie Menschen bleiben, wenn auch ziemlich zerstörte. Trotz gelegentlicher Längen ist »Richard Drei« mitreißendes Gegenwartstheater, das den Schmerz und das hysterische Lachen über den Zustand der Menschheit spielerisch vereint.