Der Gipsabguss eines Reliefs aus dem Titusbogen in Rom zeigt den Siegeszug der Römer mit Kultgeräten aus dem Tempel in Jerusalem nach der Eroberung der Stadt.

Ein Unding!

Oliver Tepel gibt die Carte Blanche zurück an die Redaktion

Die fahlen Wände und schmalen Treppen des Kolumba-Museums fordern Auseinandersetzung, sie sensibilisieren, aber sie beanspruchen den Besucher auch, unbefangen lassen sich diese Räume nicht durchschreiten. Genauso wenig kann die Ausstellung »In die Weite« in ihrer breit angelegten Vorführung  von 1700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland mit einem »Füllhorn« assoziiert werden, wobei die minutiöse Ansammlung verschiedenster Objekte, Bücher, Möbel und Kunstwerke als ein solches wahrgenommen werden kann: voller Facetten, anregend und, in Begleitung des im Eintrittspreis inbegriffenen kleinen Buchs, auch enorm in ihrer Wissensvermittlung. Was den Kurator*innen auf subtile Weise gelingt, ist den Blick auf das Leben zu richten — die Vergangenheit hat eine Zukunft. Immer wieder erscheint sie an den Wänden als Malerei der abstrakten Spätmoderne, in der Sakristei als Skulptur Richard Serras.

Als ich den Auftrag erhielt, in der Ausstellung nach einem »Lieblingsding« zu suchen, fragte ich mich, was das Wort bedeute, gilt die Bezeichnung »Ding« doch im Allgemeinen als Abwertung eines Kunstwerks. Doch im einleitenden Text zur Ausstellung sprechen auch die Kurator*innen vom »Ding«, betonen sogar, dass dieser Begriff durchaus Kunstwerke subsummiere.

Als erstes erblickt der Besucher im Foyer einen Gipsdetailabguss aus dem antiken Titusbogen. Zu sehen sind römische Streitkräfte, welche die Kultgeräte aus dem Tempel in Jerusalem rauben. Im stets abgedunkelten Raum 9 erhält man Einblick in die Genisa aus Niederzissen, jenes Behältnis zur Aufnahme nicht mehr lesbarer religiöser Schriftstücke oder abgenutzter Kultgegenstände. Sie überstand die Verwüstungen und Plündereien der Deutschen ab dem 9. November 1938 und wurde vor wenigen Jahren geborgen. Man blickt in eine verschlossene Intimität, in Spuren eines nahezu ausgelöschten Lebens. Doch das Leben hat sich durchgesetzt, gegen den furchtbaren Meister aus Deutschland.

Was weckt es für Assoziationen, mir in diesen Räumen ein »Lieblingsding« aussuchen zu dürfen? Es geht nicht um die Heiligung. Jüdische und christliche Kultur verbindet, sich der Entmachtung Gottes in der Moderne ausgesetzt zu haben. Alles kann Ding sein. Aber als Deutscher hier herumzugehen, um mir etwas auszuwählen? Ein Schauder des Entsetzens!

Kolumba: »In die Weite — Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland«, tägl. außer Di 12–17 Uhr, bis 15.8.

In dieser Reihe schreiben unsere Kunstkritiker*innen über ein Exponat der Jahresausstellung, das sie besonders fasziniert.