Landpartie im Lockdown

Gary Shteyngarts melancholischer Corona-Roma

Das Klischee des Lockdown-Romans wird von Gary Shteyngarts »Landpartie« bestens bedient: Ein relativ erfolgreicher Schriftsteller will den Corona-Lockdown in seinem Haus in Upstate New York aussitzen und lädt seine Freunde ein, um ihm Gesellschaft zu leisten. So weit, so Decamerone.

Aber Gary Shteyngarts Roman zeigt früh, dass in ihm mehr steckt als literarisches Krisengewinnlertum. Schon das Figurenkabinett deutet es an: Romancier Sasha Senderovsky und seine Frau, die Psychiaterin Masha. Deren Tochter Natasha  will lieber Nat genannt werden, mag K-Pop und ist sich nicht sicher, ob sie ihr Pronomen noch einmal ändern wird. Aus Korea ist Ed zu Besuch, ein reich geborener Weltenbummler, der ein exquisites Vitello tonnato kocht. Karen wiederum, ebenfalls aus Korea, hat im Silicon Valley viel Geld mit einer Dating-App verdient, die per Algorithmus zwei Menschen matcht, die auf Fotos nebeneinander stehen. Und dann ist da noch Vinod, ein Ex-Litera­turprofessor, der eine halbe Lunge an den Krebs verloren hat. Sie erwarten die Ankunft von Sashas Studentin Dee und eines namenlos bleibenden Schauspielers, der Sasha dabei helfen soll, sein verspätetes Drehbuch-Skript endlich fertigzustellen.

»Landpartie« ist keine Kunst, die das Leben imitiert, sondern Kunst, die andere Kunst imitiert. Immer wieder scheinen die Werke von Anton Tschechow im Text auf, insbesondere das auf einem Landgut spielende »Onkel Wanya« und seine Thematik verpasster Lebenschancen. Auch in »Landpartie« ist die verspätete Selbsterkenntnis ein Thema, ebenso Liebe und der — vermeidbare — Covid-­Tod. Aber all dies wird durch die Intertextualität des Romans abgefedert: »Gemäß den Regeln des russischen Romans dachte jeder über jemand anderen nach.«

Im Kontrast zu seinen vorherigen Romanen verpackt Shteyngart diese Ironie jedoch nicht in hysterischem Tonfall, sondern lässt die Melancholie hervortreten. Seine Figuren finden das private Glück. Aber die Erzählstimme fragt: »Wenn wir sie einfach im Feierrausch ließen, während die vom Schicksal weniger Begünstigten dieser Welt tiefer in Verzweiflung versinken, während Hunderttausende aus Mangel an Glück, Mangel an Mitgefühl, Mangel an Rupien zugrunde gehen, wären wir dann bei unserer Zuteilung von Zufriedenheit gerecht?«

Gary Shteyngart: »Landpartie«, Penguin, 480 Seiten, 25 Euro