Reduziert auf Repräsentation: Vickie Krieps als Sissi

»Corsage«

Marie Kreutzer befreit Kaiserin Elisabeth von Österreich, besser bekannt als Sissi, vom Backfisch-Image

Es ist heute nahezu unmöglich bei  Elisabeth von Österreich nicht an die »Sissi«-Trilogie zu denken, die Ernst Marischka ab Mitte der 50er Jahre mit Romy Schneider drehte. Doch schon die ersten Minuten von Marie Kreutzers »Corsage« ­wischen das Backfisch-Image und den Pomp beiseite. Die Kaiserin, gespielt von der dafür in Cannes ausgezeichneten Vicky Krieps (»Der seidene Faden«), täuscht eine Ohnmacht vor, um unliebsamen Zeitgenossen zu entrinnen; des Kaisers stattliche Koteletten entpuppen sich als abnehmbare Haarteile und der Ausgleich mit Ungarn — von Marischka noch als Sissis großer Triumph der Völkerverständigung verkauft — provoziert jetzt nur noch die verächtliche Frage: »Und, was hat es uns gebracht?«

»Corsage« ist der Gegenentwurf zur Heimatfilm-Welt der ­Trilogie, dieser verkitschten Romanze mit etwas Generationenkonflikt und Krankheitsdrama. Kreutzers Version bietet nur lose verknüpfte Einblicke in das Leben  Elisabeths bei Hofe und die verzweifelten Versuche, sich zu befreien. »Corsage« setzt im Jahr 1877, zum 40. Geburtstag der Kaiserin, an. Da hat sie, weil ihr politisches Mitspracherecht verwehrt bleibt, schon das Reisen für sich entdeckt und folgt ansonsten strengsten Diätvorschriften, Fitness- und Haarpflege-Routinen, um wenigstens in einem Bereich ihres Lebens die Kontrolle zu behalten. Denn ihre Aufgabe und Daseinsberechtigung ist es, zu repräsentieren. Darauf reduziert zu sein, ist das engste Korsett überhaupt — das zeigt »Corsage« ziemlich eindrucksvoll.

Es ist absurd, ausgerechnet das Leben dieser Frau zu verklären, die wie jede ­andere auch allerhand Widersprüche in sich trägt und die unentwegt aneckt, weil ihr Selbstverständnis und Lebensstil ihrer Zeit um ­Äonen voraus zu sein scheint. Dass die Figur der Elisabeth somit wesentlich mehr hergibt, als sie nur in schöne Kleider zu stecken, hat nicht nur Marie Kreutzer entdeckt, auch Frauke Finsterwalder (»Finsterworld«) arbeitet gerade an einem Sissi-Stoff.

Kreutzer zeigt, dass das Leben bei Hofe eben nicht permanente Staatsempfänge und Gala-Diners bedeutete, sondern vor allem Leere. Die Monarchen sind einsam, aber allein sind sie nie

»Corsage« folgt nicht den Konventionen eines gewöhnlichen His­torienfilms. Auf der einen Seite wirkt er realitätsnäher: Die Darstellerinnen tragen kaum Schminke, ihr Haar ist kraus von den tagelang nicht gelösten Flechtfrisuren. Fließend wechseln sie zwischen Deutsch, Englisch, Französisch, Ungarisch. Aber vor allem zeigt Kreutzer, dass das Leben bei Hofe eben nicht permanente Staatsempfänge und Gala-Diners bedeutete, sondern vor allem Leere: Abendessen zu zweit an meter­langen Tischen in kirchenhohen ­Räumen. Private Reitstunden, bei denen eine Hofdame mit ihrem Klavierspiel versucht, die weitläufigen Hallen der Spanischen Hofreitschule zu beleben. Die Monarchen sind einsam, aber allein sind sie nie. Selbst zur Schlafenszeit, selbst in den intimsten Momenten zwischen Eheleuten stehen die Kammerdiener bereit, und nicht immer sind sie ihren Brötchengebern auch wohlgesonnen.

Auf der anderen Seite lässt Marie Kreutzer zahlreiche Anachronismen in ihren Film einfließen, wenn auch längst nicht so enthusiastisch wie etwa Sofia Coppola in »Marie Antoinette«. Mal schreiten die Herrschaften durch einen modernen Türrahmen, mal lehnt im Bildhintergrund ein Wischmopp aus neonfarbenem Plastik an der Wand. Eine Harfenversion von »As Tears Go By« wechselt sich ab mit den sanft versponnenen Chansons von Camille und den Songs von Soap & Skin aus dem Off. Und dann taucht während eines Reitausflugs nach Northamptonshire ein Erfinder mit einer Bewegtbildkamera auf, Jahre bevor der Film wirklich erfunden wurde (Elisabeths Gastgeber dort sind — eine schöne Querverbindung — die Familie Spencer, Vorfahren von Prinzessin Diana, gewissermaßen die Sissi ihrer Zeit).

Film ist das ideale Medium für die ruhelose Kaiserin, die sich jahrzehntelang Modell stehend langweilte. Zumal der Film noch stumm ist: So lange sie dabei lächelt, kann sie vor der Kamera sagen, was immer sie will, und Marie Kreutzer ist so solidarisch, das Geheimnis für sie zu verwahren. Was sie hingegen ihrem verknallten Reitlehrer und damit auch dem ganzen Publikum sagt, ist deutlich vernehmbar: »I like to look at you looking at me.«

A/LUX/D/F 2022, R: Marie Kreutzer
D: Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Manuel Rubey
114 Min. Start: 7.7.