Fixierte Moderne

Eine Ausstellung im Stadtarchiv feiert Chargesheimer als Jazz-Fotografen

Ist das eine Ausstellung über Fotografie? Eine über Jazz? Oder doch über Kölner Stadtgeschichte? Das bleibt ein bisschen unentschieden. »Chargesheimer fotografiert Jazz«, die erste Ausstellung im Neubau des Kölner Stadtarchivs, suggeriert eine Chronologie — die Bilder decken einen Zeitraum von den frühen 50er Jahren bis zum Ende der 60er ab — und verhandelt einige der Lieblingsthemen des Kölner Kulturbürgers: den Aufbruch in eine moderne Stadtgesellschaft der Nachkriegszeit, für die nun mal Jazz sinnbildlich steht, festgehalten von einem der visionärsten Fotokünstler seiner Zeit — Karl Heinz Hargesheimer, genannt Chargesheimer (1924–1971). Und tatsächlich: Chargesheimer arbeitete immer wieder als Chronist Kölner Le­bens­welten, die nicht schön waren. Das zeigte er auch ungeschminkt, weswegen er in seiner Heimatstadt jahrelang nicht wohl gelitten war.

Allein, als Jazz-Fotograf ist Chargesheimer gerade kein Chronist! Seine Musiker-Porträts zielen nie auf Dokumentation, die Besuche der großen Jazz-Stars in der Stadt — etwa Ella Fitzgerald, Louis Armstrong, Duke Ellington, Sidney Bechet — waren ihm Anlass für strenge, reduzierte Studien, die das vermeiden wollen, was man für gewöhnlich mit Jazz assoziiert: Musiker auf der Bühne, gemeinsame Spielfreude, coole Attitude, die Fotografie so »spontan« wie die Musik … Stattdessen zeigt Charges­heimer Ella Fitzgerald auf der Bühne hochstilisiert, ohne Band und vor abstraktem Hintergrund. Alles Naturalistische hat er diesen Aufnahmen ausgetrieben. Chargesheimer, das macht die Ausstellung in ihren stärksten Passagen klar, war ein begnadeter Arbeiter im Studio, für ihn war das Fotonegativ Material, das er mitleidslos traktierte: Er entfernte Hintergründe, fixierte Gesten, belichtete die Aufnahmen stark nach, um krasse Hell-Dunkel-Effekte zu erzeugen. Ob Chargesheimer, wie ein Tafeltext behauptet, wirklich die Fähigkeit besaß, in seinen Fotos den Charakter des Porträtierten zu erfassen, sei dahingestellt. Umgekehrt: Gerade weil seine Aufnahmen verdichten, konzentrieren, einen Moment regelrecht fest­nageln, eröffnen sie einen tiefen Assoziationsraum. Chargesheimer entdeckt keinen irgendwie ver­bor­genen Charakter, er verleiht ihn erst.

Natürlich sehen wir auch Session-Fotografien, vor allem aus den frühen 50ern, als Köln für einen Wimpernschlag und Dank des Engagements des Gastronomen Gigi Campi europäische Hauptstadt des Cool Jazz war. Auch später, 1967, ist Chargesheimer bei einem Campi-­Ding dabei: bei Aufnahmen der von Campi miterfundenen Boland-Clarke-Big-Band im Godorfer Rhenus-Studio. Hier sehen wir die Musiker gemeinsam bei der Arbeit. Aber auch für diese frühen und späten Fotografien gilt: Chargesheimer ist ein strenger Stilist, der nicht das Verschwitzte und Hemdsärmelige zeigen will, sondern die unbedingte Modernität, für die Jazz einst stand. Selbst wenn er Kenny Clarkes Schlagzeugspiel in zig Studien festhält, sodass wir tatsächlich einen Eindruck vom Bewegungsablauf des Swings bekommen, geht es ihm um das Exemplarische.

Mit Köln hat das vordergründig nur wenig zu tun, die Jazz-Bilder erzählen kaum Stadtgeschichte. Es lohnte sich aber, sie gemeinsam mit den Straßenszenen aus seinem legendären Fotoband »Unter Krahnenbäumen« zu studieren. Dann ergäbe sich tatsächlich ein Kölner (Gesamt-)Bild: das einer in Wirklichkeit zerrissenen Stadt zwischen Subproletariat, Spießertum und kühler Moderne.

Wer in der Ausstellung Bezüge zur Jazzmetropole, die Köln heute ist, sucht, wird keine finden. Als Musikstadt hat sich Köln über die Jahrzehnte stets neu erfunden. Aber Chargesheimer kann vermitteln, was Musik bedeutet … hat: Distanz zu einer restaurativen Umgebung, die, bewusst ausgeblendet, zumindest indirekt auf den Fotos präsent ist. »Chargesheimer fotografiert Jazz« schaut man am besten als Ausstellung über Fotografie — und über diesen Umweg erzählt sie auch etwas über Jazz.

»Chargesheimer fotografiert Jazz«

Rheinisches Bildarchiv Köln und Histo­ri­sches Archiv der Stadt Köln
Eifelwall 5; Di, Do, Fr, 9–16.30 Uhr, Mi bis 19.30 Uhr
bis 4.9., Eintritt frei

Im Emons Verlag ist ein umfangreicher Ausstellungskatalog erschienen
220 Seiten, 35 Euro