Wenn er die Wahl hat, greift er zum Tempo-30-Schild: Kläger Marcel Hövelmann

»Ohrenklatscher für die Stadt«

In vier Straßen haben Anwohner Tempo 30 eingeklagt

An einem Dienstagmittag Anfang Juni steht Marcel Hövelmann dort, wo seiner Meinung nach ein Tempo-30-Schild stehen sollte — an der Mommsenstraße, Ecke Hermeskeiler Straße, in Sülz. »Wenn die Ampel umspringt, tritt man hier gern noch mal aufs Gas«, sagt Hövelmann, der in einem der Mehrfamilienhäuser hier wohnt. Bislang gilt Tempo 50. Hövelmann möchte das ändern. Er hat die Stadt Köln verklagt.
Neben Hövelmann hatten weitere Kölnerinnen und Kölner bei Stadtverwaltung beantragt, auf den Straßen, an denen sie wohnen, Tempo 30 einzuführen. Sie argumentierten unter anderem mit Lärmschutz für »verkehrsbeschränkende Maßnahmen«. Tempo 30 gilt als effektiv. Doch die Verwaltung lehnte ab, sie fürchtete Staus und mehr Verkehr in Nebenstraßen. Gegen den Ablehnungsbescheid hatten die Anwohner 2018 geklagt. Zu vier Klagen hat das Kölner Verwaltungsgericht Ende Mai Urteile gesprochen. Die klagenden Anwohner an der Straße An St. Katharinen und der Krefelder Straße in der Innenstadt, dem Clevischen Ring in Mülheim bekamen ebenso Recht wie Marcel Hövelmann für die Mommsenstraße. Die Stadt muss über die Temporeduzierung neu bescheiden. Das heißt, die Verwaltung wird dort voraussichtlich Tempo 30 einrichten müssen.

Einen »Ohrenklatscher für die Stadt«, nennt Hövelmann das Urteil. »Die Stadt hat es sich mit der Argumentation zu einfach gemacht. Das war Schema F, und das ist beim Gericht offenbar nicht gut angekommen.« In der Urteils­begründung heißt es etwa, die Gründe, Tempo 30 abzulehnen, seien »nicht nach­voll­zieh­bar und in sich unplausibel«. Die Stadt müsse die Annahme, eine Tempo­reduzierung würde zu Ausweich­verkehren führen, belegen und gehe zudem nicht auf den »Grad der Lärm­belastung und die damit verbundenen Nach­teile für den Kläger, etwa in Form von Gesund­heits­risiken, ein«.

Dass Kölnerinnen und Kölner ihr Recht auf Tempo 30 einklagen müssen, überrascht. Denn Ende 2021 ist Köln der bundes­weiten Initiative »Lebens­werte Städte durch angemessene Geschwindig­keiten« beigetreten. Mehr als 200 Kommunen setzen sich dafür ein, mehr Handlungs­spielraum zur Ausweisung von streckenbezogenen Tempo-30-Begrenzungen zu bekommen. »Kommunen sollen selbst entscheiden dürfen, wann und wo welche Geschwindig­keiten angeordnet werden — zielgerichtet, flexibel und ortsbezogen«, fordern sie. »Wenn sie es ernst meint, dürfte die Stadt nicht in ­Berufung gehen«, so Hövelmann. Aus der Stadt­verwaltung heißt es Mitte Juni auf Nachfrage, die Prüfung der Urteils­begründung sei noch nicht abgeschlossen. Hövelmann wünscht sich, dass die Stadt selbst aktiv wird, zumal sich derzeit vielerorts Initiativen für Tempo 30 einsetzen: »Warum sagt die Stadt­spitze nicht: Wir sind jetzt bei der Tempo-30-­Initiative dabei und widmen in den nächsten zwei Jahren 20 Kilometer um in Tempo 30.« Hövelmann ist sich sicher, dass es nicht an der Gesetzgebung liegt, dass es in Köln nicht mehr Tempo-30-Zonen gibt. Aus dem Verkehrsdezernat heißt es, man werde »im ­Rahmen der Gesetze weitere Geschwindig­keits­reduzierungen prüfen und da, wo es möglich ist, auch umsetzen«. Man habe etwa für »weitgehend alle zusammen­hängenden Wohngebiete« das Tempo gedrosselt. Allerdings müsse eben auch eine Ausweisung von Tempo 30 rechtsbeständig sein. Vor Gericht droht der Stadt indes neuer Ärger: Es laufen Klage­verfahren für 14 Straßen, von Lindenthal über Rodenkirchen und Weidenpesch bis nach Humboldt-Gremberg. »Schade, dass man diesen Weg gehen muss. Aber man hat den Eindruck: Wenn keiner klagt, passiert auch nichts«, sagt Marcel Hövelmann.