Sieht den Asteroiden kommen: Azu Tiwaline

Splitter von Asteroiden

Neues Maxis von Daniel Avery, Azu Tiwaline, KH (Four Tet), Ngoni Egan und Caterina Barbieri

Manchmal ist die Direktheit, wie sie aus Fans spricht, die schönstmögliche aller Reaktionsformen. Wie etwa dieser anrührende Kommentar von User:in ­xurek unter dem Youtube-Link zur neuen Single von Daniel Avery »Chaos Energy«: »Everytime I hear new music from you I am reminded time and time again how fortunate I am to be ­alive and to be able to hear these sounds. Your music brings me so much joy, keep doing your thing! Much love ??«

Bei »Chaos Energy« handelt es sich um die erste Maxiauskoppung aus dem neuen Album ­»Ultra Truth« von Daniel Avery; ein Titel, der davon zeugt, dass der Brite zuletzt viel über die Welt da draußen nachgedacht hat. ­Seine Ableitung: Statt sich wie ­bislang dem Eskapismus hinzugeben, stellt er sich nun dem düsteren Status Quo. In der Tat ist »Chaos Energy« sehr sinister in seinem Klangdesign; die wabbernden, trancigen Flächen sowie die hellen Breakbeat-Sounds, genauso wie die an Prodigy-Hits erinnernden Euphoriewallungen ­verbreiten dennoch ein Gefühl des Aufbruchs.

Weniger bombastisch aber nicht minder apokalyptisch mutet die Musik von Azu Tiwaline an, deren EP »Vesta« eine Hommage an »4-Vesta« ist: den hellsten von der Erde aus sichtbaren Asteroid, der mit 500 Kilometer Durchmesser mal eben so groß ist wie die halbe Bundesrepublik. Kleinere Asteroid-Absplitterungen sind schon als Fragmente auf der Erde gelandet, eins davon hat Azu Tiwaline in der Sahara in die Hände bekommen. Sie überführt die dort gefühlte kosmische Energie in raumergreifende Technoentwürfe. Tiwaline zirkelt hierfür ihre Klangräume akribisch ab, ruft Assozi­ationen des alten Berlin (Basic Channel) wie des neuen (Ostgut Ton) auf.

Vor einigen Monaten bekam die Öffentlichkeit via Social Media Posts vom Rechtsstreit zwischen Kieran Hebden (aka Four Tet) und seinem Label Domino mit, in dessen Zentrum die unangemessen schlechte Beteiligung von Hebden am digitalen Erlös seiner Musik steht. Domino weigert sich bisher vehement die Anfang der Nullerjahre abgeschlossenen Verträge auf heutige Rahmenbedingungen ausrichten und ihn somit fair zu beteiligen. So wie Hebden sind eben viele Künstler:innen damit konfrontiert, das alte Vertrags­werke Möglichkeiten wie Download und vor allen Dingen Streaming nicht mitdachten oder ­ein­schlossen. Der Prozess läuft aktuell noch, parallel veröffentlicht Hebden aber so viel wie möglich aus seinem Backkatalog über eigene digitalen Vertriebswege wie beispielsweise seine Bandcamp-Seite. Dort taucht nun »Only Human« wieder auf: Sein Hit aus 2009 spielt mit einem Nelly-Furtado-Sample, erschien erst als Bootleg, später legal bei Ministry of Sound. Ein Track, der von Hebdens Angstfreiheit erzählt — warum nicht die klebrige Schönheit von Popmusik aufgreifen, um daraus Momente der Befreiung für die Technotanzflächen zu kreieren?

Derartige »Crossover«-Gefühle kennt Ngoni Egan (noch) nicht; er konzentriert sich mit den fünf Tracks auf »Re Teng« auf energetischen Electro. Es sind treibende, lebensbejahende, mitreißende Tracks. Bemerkenswert, da Egan seine nomadische Reise aus der Kalahari Wüste in Botswana, wo seine Familie ursprünglich herkommt, über Dublin, wo er aufgewachsen ist, nach Rotterdam, wo er derzeit lebt, verarbeitet.

Die Musik der Italienerin Caterina Barbieri ist eng verbunden mit Performancekunst und Bühneninszenierungen. Es handelt sich dabei um eine hochkomplexe, theoretisch aufgeladene, im Stehen tanzende Form von Trance Musik, die gleichermaßen wie ein Soundtrack von Phillip Glass, eine Komposition von Laurie Anderson und ein Ambient-Track von Aphex Twin klingt. Insofern passt der Titel ihrer neuen Single »At Your Gamut« wirklich perfekt —  Gamut bezeichnet die Gesamtheit aller möglichen Töne sowie die Menge aller Farben, die ein Gerät wiedergeben kann.

Daniel Avery, »Chaos Energy« Phantasy Sound
Azu Tiwaline, »Vesta« I.O.T Records
KH (Four Tet), »Only Human« Reissue
Ngoni Egan, »Re Teng« United Identities
Caterina Barbieri, »At Your Gamut« Edition Mego