Großes Kino mit Streaminggeldern: »Memoria« von Apichatpong Weeraesthakul

Business as usual?

Die Kölner Filmvertriebs- und Produktionsfirma The Match Factory wurde vom Streamingdienst Mubi gekauft — was bedeutet das für die Kinos?

Auch Arthouse-Kino ist ein Business und Fusionen und Übernahmen gehören zum Geschäft. Auch wenn die Namen, die gehandelt werden, Jim Jarmusch, Maren Ade oder Aki Kaurismäki heißen, und die Produkte »Waltz with Bashir«, »Toni Erdmann« oder »The Traitor«, und auf der Berlinale, in Cannes oder dem Sundance Film Festival der Öffentlichkeit präsentiert werden. So war Anfang des Jahres die Pressemitteilung des Unternehmens Mubi zunächst nicht weiter ungewöhnlich, dass es als international tätiger Filmverleih (seit dem Frühjahr auch in Deutschland) und Filmproduzent mit Hauptsitz in London die Kölner Match Factory übernimmt.

Match Factory ist ein Weltvertrieb mit Sitz in der Domstraße, der mit Match Factory Productions seit einigen Jahren ebenfalls hoch gehandelte Filmkunst produziert. »Memoria«, »Never Gonna Snow Again« und »Martin Eden« sind einige der international gefeierten und von den Kölnern um Geschäftsführer Michael Weber koproduzierten Filme. Der, wie bei Übernahmen üblich, die zu erwartenden Synergien preist: »Unsere kombinierten Stärken werden neue Möglichkeiten für das Kino, das wir lieben, eröffnen«, wird Weber in der Mitteilung zitiert.

Doch Mubi ist eben nicht nur Produzent und Verleih, sondern auch ein Streamingdienst. Als solcher wurde Mubi gegründet, und Streamingdienste gelten nicht wenigen Beobachtern der Filmbranche als ein Sargnagel des Kinos. »Wir müssen beobachten, wie sich dieses Zusammenrücken entwickelt«, sagt Joachim Kühn, der unter anderem die Filmpalette in der Lübecker Straße als Filmkunst­kino betreibt und Kenner der Arthouse-Szene ist, »bei den Festivals in jüngster Zeit war die Match Factory so präsent wie in den Jahren zuvor, sollte aber mittelfristig nur noch für den Streamingdienst von Mubi produziert werden, würde das leider in die Zeit passen, und das wäre eine Situation, vor der wir schon etwas Angst hätten.«


Es sei eine Zusammenarbeit von Freunden, versichert Çakarel, der zuvor Investmentbanker bei Goldman Sachs war — und Mitglied der türkischen Mathematik-Nationalmannschaft

Gegründet wurde Mubi 2007 von dem türkischen Ingenieur Efe Çakarel. Der Gründungslegende nach saß er in Tokio im Hotel und wollte im Internet »In the Mood for Love« sehen. Doch auf keiner Webseite war Wong Kar-Wais Meis­terwerk in voller Länge zu finden, also baute der bekennende Cineast eine eigene Plattform auf, die Filmkunst und Klassiker in den Mittelpunkt stellte und zunächst The Auteurs hieß. Unter dem heutigen Namen Mubi wird dort täglich ein neuer Film vorgestellt, der dann einen Monat lang zu sehen ist. Daneben gibt es Filme, die dauerhaft im Angebot sind für die Abonnenten, die monatlich knapp zehn Euro zahlen. Für Filme, die bei Netflix oder Amazon Prime tendenziell keine Chance hätten.

Filme, wie sie auch Match Factory Productions herstellt. Schon länger waren die Kölner Partner von Mubi — Apichatpong Weerasethakuls »Memoria« war zuletzt eine Ko-Produktion mit Match Factory, und so freut sich Mubi-Gründer und -CEO Çakarel in der Pressemitteilung über »das gemeinsame Verfolgen eines Ziels: Schönes Kino für Filmliebhaber auf der ganzen Welt«. Mubi und Match Factory seien Unternehmen, die sich perfekt ergänzten, und es sei eine Zusammenarbeit von Freunden, versichert Çakarel, der zuvor Investmentbanker bei Goldman Sachs war — und Mitglied der türkischen Mathematik-Nationalmannschaft. So soll sich personell auch nichts ändern bei den Kölnern, die auch ein Büro in Berlin unterhalten, während Mubi Standorte in New York und Los Angeles unterhält.

»Kino ist ein lebendiges Ökosystem, das sich ständig verändert und erweitert«, zitiert der Pressetext Michael Weber, der wie Çakarel gelernter Ingenieur ist und Ökonomie studiert hat, bevor er bei der Bavaria als Rechtehändler anheuerte und dort den Kinoweltvertrieb steuerte. Als ihm in seinen Anfängen Fatih Akins Drehbuch zu »Short Sharp Shock« in die Hände fiel, sei ihm bewusst geworden, dass er beim Film richtig aufgehoben sei. 2006 gründete Weber nach zehn Jahren bei der Bavaria mit Match Factory dann den eigenen Weltvertrieb und 2013 mit Match Factory Productions die eigene Produktionsfirma. Beides jetzt unter die strategische Führung eines Streamingdienstes zu stellen, können Filmliebhaber als Gewinn sehen, Liebhaber des Kinos als der Ort, an den Filme ­zuvorderst hingehören, weniger. Michael Weber stand aktuell für keine Stellungnahme zur Verfügung, ob ihn dieser Richtungsentscheid vor diesem Hintergrund nicht auch ein wenig schmerzt.