Nur scheinbar auf der Überholspur: Charly Wierczejewski in »Supermarkt«

In Köln ist die Hölle los

Zwischen Bockmayer und Orwell: kreuz und quer durch die Kinonächte

Dank der Kölner Kino Nächte (siehe auch S. 56), in denen hiesige Kinos, Filminitiativen und andere Veranstalter an einem verlängerten Wochenende Filme präsentieren, ist das filmhistorische Angebot im Juli etwas breiter als in den letzten Monaten: Das Filmhaus zeigt zum Beispiel Roland Klicks BRD-Sozialreißer-Evergreen »Supermarkt«(1974) mit dem grandiosen Titelsong »Celebration« von Marius West (aka Marius Müller-Westernhagen) — Klick wird zu Gast sein, ein begnadeter Erzähler, den man nicht verpassen sollte! Die Videonale erfreut mit Valie Exports »Die Praxis der Liebe« (1984), eine ungebrochen beunruhigende Mixtur aus Krimimotiven, Medienreflektion und eigensinnigem Feminismus.

Am allertollsten ist die Filmgabe des Homochrom e.V.: Helmer von Lützelburgs »Im Himmel ist die Hölle los« (1984), ein zu spät gekommenes Meisterwerk des Schlagerfilms der 50er Jahre, zugleich eine bislang unerkannte, weil visionäre Adaption des ideologischen Kerns von George Orwells »1984«. Die Besetzungsliste ist voll von Stars, Sternchen, Sternschnuppen und Schwarzen Löchern des hiesigen Kinos jener Jahre, ohne die man nicht leben will. Allen voran sind zu nennen Ralph Morgenstern, Samy Orfgen und Dada Stievermann (die alle anwesend sein werden) als Prinz, Bauer und Jungfrau des kölschen Bockmayer-Humors, dicht gefolgt von Klaus-Lemke-Muse Cleo Kretschmer, Rainer-Werner-Fassbinder-Faktoten Harry Baer und Kurt Raab sowie Lützelburgs eigener Entdeckung Billie Zöckler.

Der Filmclub 813 zeigt im Juli »Stand Up! Was bleibt, wenn alles weg ist« (2021) von Timo Jacobs, der sich in mehreren Lemke-Filmen als Darsteller offenbarte wie ein junger Gott und hier nun seine Midlife Crisis in ein Filmunikum zwischen allen Stühlen und Tonlagen kanalisiert.

Wo wir schon beim Filmclub sind: Mit dem so weltweisen wie wenig politisch korrektem Kolonialabenteuer »Khartoum« (1966) klingt langsam dessen Basil-Dearden-Retrospektive aus. Noch drei Werke sollte der britische Meister inszenieren; das letzte, »The Man Who Haunted Himself« (1970), ­beginnt mit einer Szene, die Deardens Tod im Jahr darauf vorhersagt, wenn man an solche Dinge glauben mag. Wer das (noch) nicht tut, sollte sich in der Traumathek »Barbara« (2019) anschauen, ­Tezuka Makotos kongeniale Adaption eines magieschweren ­Manga seines Vaters Osamu.

Infos: koelner-kino-naechte.de/2022, filmclub-813.de, traumathek.de