ln die Wüste geschickt: Zhang Yi, Li Yan

One Second — Eine Sekunde

Zhang Yimous Film über die chinesische Kultur­revolution wurde zensiert — warum bleibt rätselhaft

Von seinem Langfilmdebüt »Rotes Kornfeld« (1988) an bis etwa Ende der 90er Jahre galt Zhang Yimou als ein Subversiver des chinesischen Kinos und wurde für seine opulent-flamboyanten Werke weltweit verehrt. Wie aufrührerisch das Schaffen eines Regisseurs sein kann, der im Rahmen eines autokratischen Systems fast jedes Jahr einen (gern auch mal teuren) neuen Film machen kann, fragte sich kaum wer. Und so brach die internationale Kritik mit ihm, als er ihr nicht mehr den Märtyrer machte. Flux wurde er in zwei andere Boxen gepackt: der Genreformalist von »Hero« (2002), »Der Fluch der goldenen Blume« (2006) oder »Shadow« (2018), und der Staatskünstler von »The Flowers of War« (2011), »The Great Wall« (2016) sowie als Regisseur von zwei Olympia-Eröffnungen.

Und dann kam »One Second«, und alles war wieder anders — weil er lange nicht kam. 2019 sollte er im Wettbewerb der Berlinale laufen, wurde aber kurzfristig von offiziellen Stellen zurück­gezogen. Dann war er 2020 in einer umgearbeiteten Fassung in China als Eröffnungsfilm des sehr staatsnahen Wettbewerbs um den Goldenen Hahn angekündigt und wurde wieder kurzfristig zurückgezogen — nur um zwei Tage später offiziell in den Kinos des Landes zu starten. Wo war das Problem?

»One Second« ist zunächst einmal ein weiterer Film über eines von Zhangs Kernthemen: die Verheerungen der Kulturrevolution. Am Anfang zeigt er sich von seiner visuell aufregendsten Seite in der Art, wie er Wüste oder eine Kleinstadt bei Nacht filmt. Der größte Teil der Handlung spielt allerdings während einer Filmvorführung in einem Gemeindesaal, bei der man auch einiges an chinesischer Kinoklassik häppchenweise zu sehen bekommt. Generell findet Zhang, wie so oft, eine so feine wie feinsinnige Balance aus Realismus und Melodram — eine Figurennähe, die identisch ist mit einer Nähe zum Publikum.

Und wo lag nun das Problem, da sich »One Second« ideologisch nicht groß unterscheidet von seinen beiden von der Zensur abgenickten Kulturrevolutions-Filmen »Der Baum der Helden« (2010) und »Coming Home« (2014)? Nicht im Film selbst, sondern in der aktuellen Befindlichkeit der Nomenklatur der Volksrepublik. Wie immer.  

(Yi miao zhong) VRC 2019, R: Zhang Yimou, D: Zhang Yi, Fan Wei, Liu Haocun, 104 Min.