Pınar Karabuluts queere Theaterserie »Edward II.« am Schauspiel Köln, Foto: Ana Lukenda

Aktivismus auf der Bühne

Ein Sammelband blickt auf die Ursprünge des queeren Theaters zurück

Die deutsche Theaterlandschaft, wie auch Film und Fernsehen, sei heteronormativ und sexistisch. So die Anklage des #actout-Manifest, das am 5. Februar letzten Jahres im Magazin der Süddeutschen erschien. 185 LSBT*I*Q-Schauspieler*innen hatten es unterzeichnet. Ihre Kritik: Queere Figuren tauchen nur selten auf, und wenn doch, nur extrem stereotypisiert und auf ihre Identität fixiert, die als Problem erscheint. So wie etwa bei Mehmet Ateşçi, der von seinem ersten Engagement am Berliner Gorki-Theater erzählt: »Die Homo­sexualität sollte bei mir, weil ich ja Türke bin, irritierend oder unerwünscht sein.«

Dass queere Perspektiven in ihrer Vielschichtigkeit nicht in Erscheinung treten, ist im Jahr 2021 so überraschend wie ärgerlich gewesen. Schließlich hat man bei nicht allen, aber vielen Inszenierungen durchaus den Eindruck, dass dort Ästhetiken und Narrative jenseits der Heteronormativität vorkommen: etwa in Pınar ­Karabuluts queerer Theaterserie ­»Edward II.« oder bei Ersan Mondtags Inszenierung von Kurt Weills »Silbersee«.

Der von Jenny Schrödl und Eike Wittrock herausgegebene Sammelband »Theater* in queerem Alltag und Aktivismus der 1970er und 1980er Jahre« kehrt nun zurück zu den Ursprüngen — in eine Zeit, als eine Vielzahl von Theater­formen, die sich heute als queer sub­sumieren lassen, koexistierten.

Jayrôme C. Robinet beschreibt in »lecken lecken ...« die queere Spoken Word-Szene in West-Berlin,  Peter Rausch referiert über die Anfänge des Travestiekabarett in der DDR, sogar einen Beitrag zur Bühnenperformance der Punk-Band Malaria! gibt es. Einer der lustigsten Beiträge im Buch ist das Interview mit Renate Klett, die 1980 das bundesweit erste Frauentheaterfestival am Schauspiel Köln organisierte: neun Tage, ein »wahnwitziger Erfolg«. Von einigen Gruppen war damals die Bedingung gekommen, nur vor Frauen spielen zu wollen. Der damalige Kulturde­zernent Nestler strich daraufhin die Mittel, drei Wochen vor Beginn des Festivals gab es eine Anfrage im Kulturausschuss: Ein besorgter SPD-Abgeordneter kritisierte »die Ausschluss­politik« als Verstoß gegen die Gemeindeordnung. Einiges hat sich also doch getan, wie die unterhalt­same und erhellende Lektüre des Buches zeigt — nur, wie immer, nicht genug.  

Jenny Schrödl/Eike Wittrock (Hrsg.): »Theater* in queerem Alltag und ­Aktivismus der 1970er und 1980er Jahre«, Neofelis Verlag 2022, 330 Seiten, 26 Euro