Beschwingter Neustart für das Ensemble Morsbroich: Direktor Jörg van den Berg in einer Installation von Margit Czenki und Christoph Schäfer, Foto: Denis Bury

Ein Haus in Bewegung

Direktor Jörg van den Berg spricht über Bestehendes und Bevorstehendes im Ensemble Morsbroich

Herr van den Berg, in der Ankündigung der neuen Ausrichtung des Hauses wie auch der aktuellen Präsentation umgehen Sie dezidiert die geläufigen Begriffe »Museum« und »Ausstellung«. Sie reden stattdessen von »Spielzeit«, »Prozess«, »Projekt«, »Werkstatt«. Welche Botschaft senden Sie und ihre Kuratoren Fritz Emslander und Thekla Zell damit aus?

Tatsächlich stellen wir keine klassische Gruppenausstellung vor. Stattdessen sprechen wir von einem »Gefüge«. Diesen Begriff haben wir dem Buch der US-amerikanischen Anthropologin Anna Loewenhaupt-Tsing »Der Pilz am Ende der Welt« entlehnt. Sie beleuchtet den Matsutake-Pilz, der beispielsweise je nach Nachbarschaft sein Erscheinungsbild ändert. Aus dem Buch reizten uns Sätze wie »Reinheit ist keine Option mehr«, oder »Es gibt keine Existenz mehr ohne Ökologien«, also ohne Nachbarschaften. Das können Kontaminationen, aber auch Kooperationen sein. Diese Beziehungen sind nicht ausschließlich positiv oder negativ. Wir Kurator*innen haben sofort Übereinstimmungen gesehen.Schon während der Lektüre kamen uns Überlegungen zu einer neuen Zusammenstellung von Kunstwer­ken unterschiedlicher Zeit oder Art.

In den letzten Jahren war Ihr Haus als städtische Einrichtung akut von der Schließung bedroht und immer wieder in verfahrene kommunalpolitische Interessenskonflikte verwickelt. Am 4. April nun hat der Stadtrat einstimmig die Fördersumme von 1,9 Millionen, verteilt auf die Jahre 2022 bis 2026, be­­schlos­sen. Kaum ein Jahr im Amt haben Sie schon einiges bewirkt ... 

Mein Hauptaugenmerk liegt auf dem Aufbau einer neuen Beziehung zwischen dem Haus und der Stadtgesellschaft, denn diese loka­le Vernetzung ist die unbedingte Grundlage für alle weiteren Aktivi­täten. In dieser Hinsicht haben wir schon einige Fortschritte gemacht. Es ist ein beachtliches Signal, dass die Stadt Leverkusen ihr bis dato scheinbar so wenig geliebtes Mu­­seum mit diesem Betrag unterstützt und uns beim Einsatz der Mittel weitgehend freie Hand lässt! Die Stadt begreift, dass die Anlage als Gesamtheit gedacht werden muss und gibt uns dafür Zeit. Wir befinden uns in einem dynamischen Prozess und wissen jetzt noch nicht, wie aus einem Mu­­seum für Gegenwartskunst ein gegenwärtiges Museum wird.

Wo setzen Sie konkret bei der Erarbeitung dieser neuen Konzeption mit offenem Ausgang an?

Der Ausgangspunkt unseres Tuns ist der Bestand. Zukünftiges Handeln muss sich von innen heraus entwickeln. Man kann nicht mit einer Fantasie ankommen, die man blind gegenüber den Gegebenheiten des Ortes umsetzt. Neben der Vorstellung des variablen Gefüges berück­sichtigt unsere Vorgehensweise die ursprüngliche Funktion des Gebäudes als Wohnhaus. Das Wesen des Privathauses ist die räumliche Kleinteiligkeit, darauf nehmen wir Bezug. Im Falle von »2022: spielzeit« operieren wir, bildlich gesprochen, vielleicht wie ein DJ, schieben hier einen Bass raus, mischen da einen Beat rein. Wir haben den Mut, ein Haus in Bewegung zu zeigen.


Wir befinden uns in einem dynamischen Prozess und wissen nicht, wie aus einem Museum für Gegenwartskunst ein gegenwärtiges Museum wird.

Die Räume in der unteren Etage muten mitunter wie temporäre Forschungsstationen oder Laboratorien an. Lässt sich Ihre derzeitige »Spielzeit« auch in diesem Sinne verstehen: Zeit, um zu spielen, im­­provisieren, experimentieren, neue Anordnungen auszuprobieren?

Der erste Fokus von »2022:spiel­zeit«  liegt auf der »Werkstatt Morsbroich 2022–26« und den eingeladenen sieben Künstler*innen. Gemeinsam gestalten wir den Neuerfindungsprozess in den nächsten fünf Jahren — und ich lasse hier »Museum« bewusst weg, weil die gesamte Anlage gemeint ist! Wir haben diese in unterschied­liche Zonen und »Aufgabenbereiche« aufgeteilt und den künstle­rischen Positionen zugeordnet. Harald F. Müller hat beispielsweise für das Foyer und das Treppenhaus von O.M. Ungers ein Farbkonzept entwickelt, das diesem doch eher nüchternen Bauteil etwas von dem sinnenfreudigen Geist des Rokoko zurückgibt. Diese Auseinandersetzung mit gestalterischen Fragestellungen bezieht später auch Einrichtungen wie Gastronomie oder Shop ein.

Welche Stellung nimmt der ge­wach­sene Sammlungsbestand des Museums in dieser flexiblen Werkstattproduktion ein?

Der zweite Fokus von »2022: spielzeit« liegt auf der Sammlung. Wir haben den eingeladenen Künstler*innen an­­geboten, sich nicht nur mit den Räumen zu befassen, sondern auch die Sammlung einzubeziehen. Wir operieren natürlich weiterhin als Museum, das im Unterschied zur Ausstellungshalle eben eine Sammlung hat. Da wir keine Räume für eine Dauerpräsen­tation dieser Sammlung haben, ist der Umgang mit dem Bestand eine stän­dige Herausforderung für uns, die wir mit den Künstler*innen teilen. Gleichzeitig haben wir einen Schauraum eingerichtet, mit dem Untertitel, »Ein Werk, eine Betrachter*in, eine Bank«. Besucher*innen können die Werkauswahl des Raumes aktiv mit­­be­stim­men. Das ist sicherlich der Raum, der uns am meisten be­rührt. Es ist ein Angebot an die Öffentlich­keit, durch die direkte Beteiligung, dem Museum näher zu kom­men — wie übrigens auch unser public office zur Besucherteilhabe einlädt. Auch bekommt man die Möglichkeit, weniger prominente Werke aus der Sammlung zu sehen, etwa ein fantastisches Frühwerk der englischen Künstlerin Tess Jaray aus den frühen 60er Jahren.

Inwieweit ist die gesamte Anlage in ihrer ursprünglichen Bedeutung als Lustschloss mit angrenzender Parkanlage Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung?

Die Umgestaltung des inneren Gartens ist uns ein besonderes Anliegen. Der jetzige Zustand dieses Areals entspricht keinesfalls dem Garten eines Lustschlosses. Stichwort Par­terre, wo die dem Gebäude vorgelagerten Zonen geometrisch angelegt und bepflanzt wurden: Das wollen wir so nicht wiederher­stel­len, aber den Bezug dazu wirksam werden lassen. Wir berücksich­tigen die historischen Vorlagen, übersetzen diese aber in unsere Gegenwart. Da der äußere Park über vier Jahrzehnte nicht etwa romantisch verwildert, sondern dem Verfall überlassen wurde, steht er in Teilen unter Schutz. Wir möchten die ehemaligen, jetzt größtenteils verlandeten Rokoko-Wasserbecken hinter dem Wasserfall gerne in ihrer geometrischen Scharfkantigkeit wieder freilegen. Bei der Begehung mit dem Artenschutzbeauftragten sprach sich dieser erfreu­licherweise offen für die Instandsetzung dieser Becken aus, da dadurch auch wieder Lebens­­raum für die Tierwelt geschaffen würde. Ein schönes Beispiel dafür, dass Artenschutz und Ästhetik sich keinesfalls wider­sprechen müssen.

2022: spielzeit #1, Museum Morsbroich, Gustav-Heinemann-Straße 80, Leverkusen, bis September