Früher war nicht alles besser: True-Crime-Metropole Köln in den 1920er Jahren

Crime am Rhein

Sommerzeit ist Krimizeit — das gilt auch für Kölnkrimis. Wir haben einen kleinen Stapel ­Regionalkrimis gelesen und fragen uns: Was ist das eigentlich für ein Köln, in dem diese Verbrechen geschehen?

Die Hauptfigur eines aktuellen Kölnkrimis müsste man sein. Man würde im Linksrheinischen wohnen: in Ehrenfeld, Braunsfeld oder irgendwo zwischen Vorgebirgs- und Beethovenpark, und zwar mindestens mit großen Altbaufenstern, wenn nicht sogar mit Garten. Als Detektiv*in oder Kommissar*in hätte man intelligente, hübsche und einfühlsame Partner*innen, die irgendwas mit Kunst und Kultur machen. Und als Sohn eines Gangsterbosses auch.

1985 hatte der Kölner Verleger Hejo Emons die Idee, eine Reihe mit lokalen Krimis aufzubauen. »Tödlicher Klüngel« von Christoph Gottwald —übrigens gerade mit zwei Nachfolgeromanen neu aufgelegt — war der Beginn einer Welle, die auch die literarische Karriere von Frank Schätzing begründete. Seit dem ersten Fall des Antihelden Manni Thielen sind ­alleine im Emons Verlag weit mehr als 60 Regionalkrimis über Köln erschienen. Und wie jeder Krimi ist auch der Köln-Krimi eine Phantasie, der Detailschilderungen die Illusion von Plausibilität verleihen sollen. Nur, dass wir ­diese Details halt alle aus unserem Alltag kennen, was für die Autor*­innen eine besondere Herausforderung ist: Stimmt die Richtung einer Einbahnstraße nicht oder klingt die Sprache so, wie niemand redet (Hallo, Tatort!), ist es vorbei mit dem Aussetzen der ­Ungläubigkeit.

Kein Wunder also, dass Manfred Theisen in »Der Pate von Ehrenfeld« viel Zeit damit verbringt, die Namen von Cafés, Büdchen und Geschäften in Neuehrenfeld zu erwähnen, wo sein Roman spielt. Auch Marlon, seine Haupt­figur, ist ein glaubwürdiger ­Veedelsbewohner: Er fährt Rad, studiert, und die dänische Kommilitonin ist ihm wichtiger als ­Sanitärarbeiten bei seiner Oma. Allerdings ist er auch der lokale Chef des organisierten Verbrechens — ein Hipstermafioso. Ein richtiger Krimi ist »Der Pate von Ehrenfeld« dennoch nicht. Denn es steht nie in Zweifel, woran und warum die Toten im Buch gestorben sind. Sie sind Opfer des Kleinkriegs zwischen Marlons deutscher Gangsterfamilie und der ­albanischen Mafia. Womit wir dann bei einer anderen wichtigen Funktion von Krimis wären: der Wiederherstellung der symbolischen Ordnung. Denn Marlon lebt in einem sorgfältig austarierten Kräfteverhältnis aus Mafiabanden und Ordnungsbehörden, das von »den Albanern« gestört wird. Das bedient nicht nur rassistische ­Vorurteile, sondern verniedlicht auch die alltägliche Korruption, auf der diese Ordnung basiert.

Besser macht es Reinhard Rohn, Urgestein der Köln-Krimi-Szene, in »Kölner Kasino«. Rund um den fiktiven Bau eines Hotels und Kasinos im Deutzer Hafen entspinnt er ein Netz aus Korruption und Vertuschung. Im Mittelpunkt steht der Kölner Oberbürgermeister, dessen Bruder ermordet aufgefunden wird. Kurz zuvor war er aus Japan zurückgekehrt, wohin er sich nach dem Vorwurf sexueller Übergriffe abgesetzt ­hatte. Jetzt müssen die  Polizist*­innen im Umfeld des OBs und ­eines befreundeten Immobilien­anwalts ermitteln, wo das Schweigegelübde der herrschenden ­Klasse auch dann noch gilt, als eine zweite Leiche aus diesem Umfeld auftaucht. Die beiden Ermittler*innen, Birte Jessen und Jan Schiller, wirken  in ihrer Prin­zipienfestigkeit zwar etwas zu idealisiert, dennoch ist ihr Anrennen gegen die geschlossenen ­Reihen der Kölner Elite durchaus sympathisch.


»Klima Colonia« fängt ein Grundgefühl des Lebens in Köln gut ein: Es passiert nichts, aber es ist trotzdem okay

Mit hohen Sympathiewerten ist auch Magnus Meister, Protagonist von Susanne Grulichs »Klima Colonia« ausgestattet. Die braucht er auch, denn auf der Suche nach einem verschwundenen Klimaforscher bekommt er es nicht nur mit dessen Vater, einem autoritären Stadtwerke-Abteilungsleiter, zu tun, sondern muss gleichermaßen im Startup-Milieu und unter Klimaaktivist*innen recherchieren. Zudem muss er Privatleben und Beruf balancieren, was umso schwieriger ist, da sein Boss der beste Freund ist, und dessen Aufträge Meisters karrieretechnisch eher stagnierende Musikleidenschaft finanzieren. Ein typischer Kölner Slacker also, dem man eigentlich ganz gerne durch die verschiedenen Milieus folgt. Wobei Milieus hier vor allem die verschiedenen Gruppen der Kölner Mittelklasse meint, was beim ­Thema Klimaforschung und Umweltaktivismus aber wenig überraschend ist. Ansonsten fängt »Klima Colonia« ein Grundgefühl des Lebens in Köln gut ein: Es passiert nichts, aber es ist trotzdem okay. Weil die Hauptfigur so sympathisch ist, stört man sich auch nicht daran, dass Detektiv Meister in seinem nächsten Fall erstmal auf die Suche nach einem spannenden Plot gehen sollte.

Denn die besten Geschichten liegen ja bekanntlich auf der ­Straße. Das dürfte sich zumindest der Greven-Verlag gedacht haben, als er seine Reihe »True Crime« ­gestartet hat, die wahre Kriminalfälle aus Köln erzählt. Nach einem Band über die Nachkriegszeit ­widmet sich »Die Insel der Seligen«  nun den frühen Jahren der Weimarer Republik von 1918 bis 1926. Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg und die darauf folgende Kontrolle Kölns durch britische und französische Truppen und Verwaltung sind sowohl Hintergrund als auch Anlass für viele dieser Geschichten, die der Journalist Anselm Weyer zusammengetragen hat: Eifersüchtige Kölner greifen zur Schusswaffe, um britische Soldaten zu erschießen, die sich trotz Verbots mit Sexarbeiterinnen treffen. Ein ­Kölner Finanzbeamter wird zum Volkshelden, als er sich weigert, den Anweisungen der französischen Verwaltung auf Beschlagnahmung von Kohle nachzukommen. Besonders unterhaltsam sind die Geschichten, in denen die Dadaisten rund um Max Ernst ­ vor Gericht landen, weil sie eine Theateraufführung gestört haben oder Kunst im Brauhaus ausstellten, die manchen als pornografisch galt. Sie kamen allesamt mit niedrigen Strafen davon. Und manchmal haben die alten Fälle sogar einen Bezug zur Gegenwart. Nach dem Mord an Walther Rathenau forderte die SPD im Juli 1922 im Rat die Umbenennung des ­Kaiser-Wilhelm-Rings sowie von Hohenzollernring und -Brücke, so wie es heute antirassistische Initiativen tun. Der alte Monarch passe nicht zur Republik, so das Argument, was bei der politischen Rechten im Rat für Aufregung sorgte. Kommunisten und DVP fingen an, sich prügeln, während OB Adenauer leicht panisch den Saal verließ. Das Ergebnis: Ein paar Straßen im Rechtsrheinischen wurden umbenannt, bestraft wurde niemand. Manchmal lohnt sich Verbrechen halt doch — auch wenn mancher Köln-Krimi das Gegenteil behauptet.

Christoph Gottwald: »Tödlicher Klüngel: Drei Köln Krimis«, Emons, 512 Seiten, 14 Euro
Manfred Theisen: »Der Pate von Ehrenfeld«, Gmeiner, 247 Seiten, 14 Euro
Reinhard Rohn: »Kölner Kasino«, Emons, 224 Seiten, 12 Euro
Susanne Grulich: »Klima Colonia«, Gmeiner, 345 Seiten, 12 Euro
Anselm Weyer: »Die Insel der Seligen: True Crime, Köln 1918 –1926«, Greven, 176 Seiten, 16 Euro