Raus aus der Nische — das ist richtig

Am 3. Juli findet in Köln der CSD statt. Ein Gespräch mit Andreas Wolter, dem Stellvertreter der Oberbürgermeisterin, über sein Amtsverständnis als schwuler Bürgermeister, Erfolge der LGBTIQ*-Bewegung und Diversity im Kapitalismus

Herr Wolter, Sie sind als Bürgermeister nach der Oberbürgermeisterin höchster Repräsentant der Stadt. Repräsentieren Sie als schwuler Mann somit auch den CSD?

Also beim CSD bin ich dabei! Ich bin seit 2004 Mitglied des Rates und jetzt eben auch erster Stellvertreter der OB. Ich hab schon den CSD eröffnet und betreue auch die internationalen Delegationen, die wir als Stadt einladen.

Der CSD ist ein Groß-Event in Köln, er wird unterstützt von der Stadt, von Unternehmen und vielen gesellschaftlichen Gruppen. Köln hat jüngst einen Diversity-Preis der EU bekommen. Alles erreicht?

Nein. Es gibt immer noch Diskriminierung. Zum Beispiel werden immer noch Kinder von zu Hause rausgeschmissen, wenn sie nicht hetero sind — nicht nur in Familien mit Migrationshintergrund. Es gibt wieder mehr Gewalt gegen Minderheiten, besonders gegen LGBTIQ*. Den Kampf gegen Homo- und Transphobie muss man immer weiter führen, so wie gegen Antisemitismus und Antiziganismus.

Wie politisch ist der CSD?

Seine Kommerzialisierung steht in der Kritik. Die Entwicklung des CSD ist richtig — raus aus der Nische! Vor zwanzig Jahren gab es vor allem Feiern in der Szene. Dass sich der CSD geöffnet hat, trug zur Akzeptanz bei. Es gehören eben nicht nur politische Forderungen dazu, sondern auch Vielfalt und Buntheit der Veranstaltungen.

Konzerne strahlen ihre Gebäude bunt an, präsentieren ihre Produkte in Regenbogenfarben. Diversity ist für den Kapitalismus kein Problem — gute Arbeitsbedingungen schon. Auch McDonald’s ist Sponsor des CSD...

Es ist mir nicht bekannt, dass McDonald’s Sponsor ist und...

... das Logo prangt neben anderen auf der Homepage.

Manchmal wundert es mich, wer alles mit der Regenbogenfahne wirbt. Sie war das Zeichen von LGBTIQ*, aber heute verstehen viele darunter einfach Vielfalt, das Symbol wird allgemeiner interpretiert. Dadurch sind die Paraden auch Ausdruck gelebter Menschenrechte. In vielen südosteuropäischen Ländern, vor allem aber in arabischen Staaten, wird die Regenbogenfahne bekämpft. Insofern habe ich kein Problem damit, wenn Firmen mit den Regenbogenfahnen werben.

Dann sind Regenbogenfarben auf Waren ein Erfolg?

Es zeigt zumindest, dass sie ein positives Attribut sind und unsere Ideen auch dort angekommen sind. Wenn die LGBTIQ*-Bewe­­gung auch noch schlechte Arbeitsbedingungen bekämpfen soll — wir würden uns verheben. Wir kämpfen für unsere Rechte, haben aber andere im Blick. Beim CSD gehen etwa Menschen mit Beeinträchtigung mit. Wir sind integrativ, niemand wird außen vor gelassen.

Das CSD-Motto lautet »Für Menschenrechte«. Geht es also nicht nur um die Rechte der Community?

Das Motto hat einen globalen Anspruch, es zielt gegen sämtliche Diskriminierungen. Es geht um Akzeptanz von Menschen, die anders leben wollen als andere. Da sehe ich eine Parallele zur europäischen Idee, weil in Europa auch unterschiedliche Gesellschaften in friedlicher Koexistenz leben. Insofern ist der CSD ein europäisches Projekt.

Sie selbst setzen sich für Städtepartnerschaften ein. Köln pflegt dabei auch Kontakte in Länder, wo sexuelle Minderheiten drangsaliert werden.

In jenen Partnerstädten, wo die menschenrechtliche Situation problematisch ist, unterstützen wir — wenn nötig, auch an Stadtoberhäupten vorbei — NGOs, die sich für Menschenrechte, LGBTIQ* oder Pride-Veranstaltungen einsetzen. Das braucht Fingerspitzengefühl. Wenn wir als Delegation nach Cluj-Napoca in Rumänien, Kattowitz oder nach Istanbul fahren, melden wir uns immer offiziell an. Kattowitz haben wir mit einer Delegation besucht und sind zuletzt auch vom Stadtpräsidenten empfangen worden. Eine Kattowitzer Delegation hat sich später in Köln über LGBTIQ* sowie Geflüchtete und Integration informiert. Jetzt gibt es in Kattowitz einen Diversity-Beauftragten.

Es ist ein großer Erfolg, wie sehr hierzulande die Forderungen von LGBTIQ* in der Politik auf Gehör stoßen, auch im Vergleich mit anderen Gruppen, die diskriminiert werden.

Ja, aber kaum jemand wurde auch so in seinen Rechten beschränkt wie LGBTIQ*. Als ich 2004 im Stadtrat anfing, war der Kuchen in Zeiten von Haushaltskürzungen verteilt — ein eigenes schwules oder lesbisches Seniorennetzwerk etwa musste hart erkämpft werden. Mittlerweile haben wir mit dem Anyway  das größte LGBTIQ*-Jugendzentrum in Europa.

Die Regenbogenfahne wird auch an Kirchen gehisst.

Es ist nur eine Fahne, aber immerhin! Die Katholische Jugendagentur betreibt das Support 51 in Mülheim, die haben bemerkt, dass viele Jugendliche queer sind. Jetzt gibt es eine Partnerschaft mit dem Anyway, und in Mülheim wird ein Tag mit dem Anyway gestaltet. Demnächst soll es einen Trans-Nachmittag geben.

Köln nimmt viele Menschen auf, die nach Deutschland geflohen sind. Manche sagen, dass viele von ihnen homophob geprägt seien. Wie groß ist das Problem?

Es gibt gerade in bestimmten migrantischen Communitys eine höhere Bereitschaft, Homo- und Transphobie zu formulieren und auszudrücken. Daran müssen wir als Stadt Köln arbeiten. 2016 haben wir für LGBTIQ*-Geflüchtete Unterkünfte geschaffen, weil sie teils schon Opfer von Gewalt waren. Aber solche Übergriffe gab und gibt es in Köln auch ohne Migrationshintergrund.

Wo steht der CSD in zehn Jahren?

Die Verankerung in der Gesellschaft wird wohl noch stärker sein. Wir sind auf dem Marsch durch die Institutionen weit gekommen. Aber wie eine Gesellschaft sich entwickelt — wer will das sagen? Wir müssen an dem Thema immer weiter arbeiten.