Lässt sich kein X für ein U vormachen: Antje Grothus

»Wir schreiben das letzte Kapitel der Braunkohle«

Die grüne Landtagsabgeordnete Antje Grothus über die Zukunft von Lützerath im Rheinischen Revier

Frau Grothus, wegen der Gaskrise soll RWE drei Braunkohle-Meiler im Rheinischen Revier wieder hochfahren dürfen. Gleichzeitig hat der Bundestag sich zum Erhalt von Lützerath bekannt. Wie passt das zusammen?

Der Entschließungsantrag des Bundestags ist sehr wichtig. Wir erleben bereits, dass das Gesetz zum Bereithalten von Ersatzkraftwerken, das eine wirtschaftliche Notlage abfedern soll, von der Kohlelobby benutzt wird, um eine unbegrenzte weitere Inanspruchnahme von Kohle zu rechtfertigen. Ich habe schon Forderungen gelesen, dass nun auch der Hambacher Wald noch wegmüsse. Diesen Argumentationen schiebt der Bundestag mit dem Satz zu Lützerath einen ­Riegel vor.

Waren Sie von dem Bekenntnis überrascht? Die Grünen in NRW wollten das Dorf schon verloren geben; im Koalitionsvertrag mit der CDU wird Lützerath nicht erwähnt.

Nur weil ein Dorf oder ein Hof nicht namentlich erwähnt wird, heißt es nicht, dass es verloren gegeben wurde. Der Ausstieg bis 2030 erfordert eine neue Leitentscheidung — das braucht Zeit. Wir werden mit RWE Gespräche darüber führen, welche Tagebauflächen noch genutzt werden und welche anderweitigen Eingriffe noch erfolgen, bis die neue Leitentscheidung steht. Die weitere Tagebauführung in Garzweiler wie in Hambach soll so geplant werden, dass die Flächeninanspruchnahme auf ein Minimum reduziert wird. Das betrifft Kohle, wertvolle landwirtschaftliche Flächen, aber auch Sand und Kies. Doch weder unsere Formulierungen noch die des Bundes ändern etwas an der geltenden Rechtslage: RWE hat einen gültigen Betriebsplan und dürfte Lützerath im Herbst in Anspruch nehmen.

RWE-Chef Markus Krebber sagt, die Kohle unter Lützerath werde ab 2023 gebraucht, vor allem, wenn das Gas knapper wird. Wie wollen Sie ihn zum Erhalt von ­Lützerath bewegen, wenn er andererseits Kraftwerke aus der Sicherheitsbereitschaft holen soll? ­

Zwischen Lützerath und Keyenberg könnten beim jetzigen Abbaustand noch an die 100 Mio. Tonnen Kohle gefördert ­werden, ohne dass der Ort dafür weichen müsste. Diese Kohlemengen würden Jahre ausreichen, selbst wenn drei Kraftwerksblöcke wieder hochgefahren werden. Aktuell beträgt die Fördermenge 19 Mio. Tonnen jährlich. Außerdem werden derzeit nur ca. 15 Prozent des Gasverbrauchs für die Stromherstellung genutzt. Wir können also das Gas-Problem nicht allein mit Kohle lösen. Vordringlich müssen die erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Kürzlich hat ein Klimawissenschaftler prognostiziert, dass wir den Rhein bald zu Fuß durchqueren können, weil die Klimakrise sich verschärft und Niederschläge ausbleiben. Wir hatten die Flutkatastrophe, die Tornados in Ostwestfalen, aktuell extreme Dürre und Hitze. Wir dürfen nicht die eine Krise bekämpfen, indem wir andere Krisen verschärfen.

Im Koalitionsvertrag steht auch, dass das bergbautreibende Unternehmen die Kosten der Rekultivierung vollständig tragen muss.

Wir wollen jetzt das letzte Kapitel des Braunkohlentagebaus schreiben, da kommen die Rekultivierung und die dauerhaften Tagebaufolgekosten etwa für den Wasserhaushalt und die Bergschäden stärker in den Blick. Wir werden erstmals unabhängig bewerten lassen, welche Folgen langfristig auf uns zukommen — etwa, ob bei Beendigung der Sümpfung Wohngebiete vernässen, die A 61 nicht mehr befahrbar ist und wie unsere Trinkwasserversorgung langfristig gesichert werden kann. Und dann sicherstellen, dass RWE nach dem Verursacherprinzip mit seinem gesamten Vermögen für die Ewigkeitsfolgen des Bergbaus haftet, und nicht nur mit Sachwerten wie alten Kohlekraftwerken, die inzwischen wertlos sind. 

Antje Grothus aus Kerpen-Buir kämpft seit fast 20 Jahren gegen den Braunkohleabbau im Rheinischen Revier. Sie war Mitglied der »Kohlekommission« und wurde im Mai für die Grünen in den Landtag gewählt.