Hat die regionale Landwirtschaft im Blick: Dorle Gothe von der Regionalwert AG Rheinland

»Die Verunsicherung ist groß«

Dorle Gothe, Vorstand der Regionalwert AG Rheinland, über die Krise der regionalen Bio-Landwirtschaft

Frau Gothe, Sie stehen im Austausch mit vielen Erzeugern. Wie geht’s den Bio-Bauern der Region?

So gut wie alle Direktvermarkter haben erheblich an Umsatz eingebüßt, bis zu 30 Prozent. Entweder die Kunden kaufen nur noch die Hälfte oder sie kommen gar nicht mehr. Das betrifft auch Marktschwärmereien oder Unverpackt-Läden. Gleichzeitig steigen die Kosten. Aber viele Erzeuger ­wollen das nicht über den Preis auffangen. Sie haben Sorge, dass weitere Kunden wegbrechen.

Was macht die Erzeugnisse teurer?

In erster Linie die Personalkosten durch den neuen Mindestlohn und die gestiegenen Energiekosten. Da hängt viel dran. Mich rief zum Beispiel der Inhaber einer Molkerei an und erzählte, dass Deckel gegenüber der letzten Bestellung vor einem halben Jahr um 1000 Euro teurer geworden sind. Folien für Siloballen haben beim letzten Mal 80 Euro gekostet, jetzt das Doppelte. Das geht bei fast allen Vorprodukten so. Und man kann längst nicht alle Auswirkungen auf die Landwirtschaft absehen. Es kamen ja auch viele Düngemittel aus der Ukraine, etwa Stickstoff-Dünger. Wie es ab Herbst weitergeht, ist unklar. Die Verunsicherung ist groß.

Und die Konsumenten müssen sparen.

Viele Menschen aus der Zielgruppe, die Bio kauft, hätten weiterhin genug Geld, aber auch sie sparen zuerst bei Lebensmitteln. Wenn Konsumenten aber wichtig ist, regionale Landwirtschaft zu stärken, sollten sie jetzt regionale Produkte kaufen, sonst gibt es die in einem oder einem halben Jahr vielleicht nicht mehr.


Regionale Landwirtschaft muss jetzt gestärkt werden. Sonst gibt es sie in einem ­halben Jahr vielleicht nicht mehr
Dorle Gothe

Ist die Lage so bedrohlich?

Regionale Erzeuger können beim Preis nicht konkurrieren mit zum ­Beispiel Erdbeeren aus Spanien, die leider unter Bedingungen moderner Sklaverei angebaut werden. Im Münsterland hat ein konventioneller Betrieb seine komplette Ernte inklusive mehrjähriger Stauden geschreddert und produziert jetzt Energie-Mais, weil er daran mehr verdient oder überhaupt etwas. Viele Bio-Landwirte entscheiden derzeit, ihre Milchkühe abzuschaffen, weil der Preis zu niedrig und die Kosten zu hoch sind. Sind diese Strukturen einmal verloren, wäre es sehr schwierig, sie wieder aufzubauen.

In der Weltpolitik erlebt man ­derzeit die Probleme von Versorgungsabhängigkeiten.

Ja, aber viele Menschen bringen das nicht zusammen. Ernährungssouveränität ist kein Nice-to-have. Es geht darum, die Versorgung der Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln zu sichern. Wir sollen mehr Gemüse essen, stellen aber nur 20 Prozent unseres Gemüses selbst her. Dabei ist absehbar, dass man in Spanien und Italien bald nicht mehr in den Mengen Gemüse produzieren kann, weil Grundwasser fehlt und Dürren drohen. Ähnlich ist es beim Lebensmittelhandwerk. Wenn in NRW kaum Metzger ausgebildet werden, wer soll künftig schlachten? Wer soll hier backen oder mahlen?

Was schlagen Sie vor?

Man braucht in den Regionen Lager- und Verarbeitungskapazitäten für Fleisch, Milch, Obst, Kartoffeln und Gemüse. Man sollte diese Strukturen zentral aufbauen, um die Wege kurz zu halten. Das könnte zum Beispiel ein Logistikzentrum im Bergischen sein, in dem es auch eine Molkerei oder Kelterei gibt. Bauern fahren diesen Ort an, von dort werden die Erzeugnisse verteilt. Ein Schlachthaus oder eine Kelterei sind für mich kommunale Einrichtungen, sie gehören zur Daseinsvorsorge. Dass sich das nicht rechnet bei den absurden Preisen auf dem Weltmarkt, ist eine Milchmädchenrechnung.

Das hilft vor allem Menschen, die sich Bio-Produkte leisten können.

Verarbeitungszentren sollten für ja für alle regionalen Produkte entstehen. Und ja, der Preis für Lebensmittel muss höher sein als jetzt im Discounter. Gleichzeitig muss man einkommensschwachen Menschen gute Lebensmittel zur Verfügung stellen. Aber das ist eine wichtige sozialpolitische Aufgabe, keine von Landwirten, die dafür auf ihr Einkommen verzichten müssen.

Die Regionalwert AG Rheinland ist eine Bürgeraktiengesellschaft, die nach­haltige Landwirtschaft fördert. Sie hat etwa 1000 Aktionäre und kooperiert mit Dutzenden Betrieben der Region.