RoboLAB 2022: Inklusives Festival im Odonien, Foto: Jörn Neumann

Mit der Kunst am Herz operieren

Das RoboLAB-Festival im Odonien feiert inklusive Kunst und Kultur — mit einem bemerkenswerten Ansatz

In der vibrierenden Sommerhitze scheint das Odonien wie aufge­laden. Die meterhohen Metallskulpturen trotzen auf dem Schotterplatz der Sonne, für das bevorstehende Konzert am Abend werden die ersten Vorbereitungen getroffen: Soundcheck mit dem Gitarristen. Wer kann, sucht erst einmal Schatten. Auch Nils Rottgardt, der sein Fahrrad an einen Bauzaun ­gelehnt hat, Schiebermütze auf dem Kopf und in der Hand eine kühle Flasche Apfelsaftschorle. In einigen Wochen geht es auch für ihn hier so richtig los, dann findet auf dem Gelände des Bildhauers Odo Rumpf das ­RoboLAB-Festival statt. Etwas abseits des Treibens, an einer um diese Uhrzeit noch stillgelegten Theke aus massivem Holz, lassen wir uns auf wackeligen Bar­hockern nieder. Das Aufnahme­gerät läuft und auch Rottgardt kommt in Fahrt.

Er ist künstlerische Leitung des RoboLAB, einem Ort, 2020 auf dem Kulturgelände Odonien eröffnet, für inklusive Kunst und Kultur. Es sei bundesweit der einzige seiner Art, erklärt Rottgardt gleich zu Beginn des Interviews — und klingt dabei keineswegs, als wolle er sich mit diesem Alleinstellungsmerkmal brüsten. Im Gegen­teil: »In Sachen Inklusion gibt es in der Kultur noch eine Menge Nachholbedarf.« Dabei trat bereits 2009 die UN-Behindertenkonvention in Kraft, die den »vollen Genuss aller Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung garan­tiert«. Im RoboLAB sucht man nach Möglichkeiten, dies in Bezug auf kulturelle Teilhabe umzusetzen — und das Festival, das einmal im Jahr und nun vom 18. bis zum 23. August stattfindet, ist das Konglomerat dieses Prozesses: Sechs Tage lang bespielen Künst­ler*­innen mit und ohne Behin­derung das Odonien. Alle Werke, die hier gezeigt werden, sind zugänglich.

Wenn Nils Rottgardt von dem bevorstehenden Programm erzählt, spricht aus ihm vor allem ­eines: Faszination. Über die Kunst­werke, die hier gezeigt werden, aber auch über die unterschied­lichen Zugangsmöglichkeiten, die von ­Anfang an in den künstlerischen Arbeitsprozess einfließen. Da ist zum Beispiel die Performance »Transmitter« von Nikolas Jürgens, die gleich am Eröffnungsabend gezeigt wird: »Sprache bringt die Welt ›auf den Begriff‹ und diese Begriffe prägen unser Bild von der politisch-sozialen Wirklichkeit und beeinflussen ­unser Verhalten«, heißt es in der Ankündigung. Es geht um Framing, Nudging und Wording, also um manipulative Praktiken von Sprache und das Potenzial, unser Denken und Fühlen vorzuprägen und bestimmten Machtinteressen unter­zuordnen. Denn besonders bei identitätspolitischen Fragestellungen wird erbittert um die Deutungshoheit von Begriffen und ­ihren Konnotationen gefochten: Welche Sprache verletzt andere? Wie kann Sprache Anerkennung und Toleranz transportieren? Wer darf wie was sagen? Welche Sprache findet öffentliches Gehör? Wie kann Sprache bestehende Machtverhältnisse und Realitätsbilder verändern? Das mixed-­abled Ensemble von »Transmitter« lädt das Publikum ein, selbst eine Umwandlung vorzunehmen, von ­einer visuellen Erfahrung hin zur Beschreibung, und fragt danach, wo auf diesem Weg die Stolpersteine und Grenzen liegen, wo aus Beschreibung Interpretation wird.

»Ich finde, wir haben hier schon ganz gut unsere künstle­rische Methode umsetzen können«, sagt Nils Rottgardt und meint: den Ansatz »Aesthetics of Access«, der ursprünglich im anglo­amerikanischen Raum entwickelt wurde. ­Dabei wird erforscht, wie Kunstwerke von Beginn an möglichst barrierefrei konzipiert werden können, an­statt nachträglich Maßnahmen übergestülpt zu be­kommen.



In Sachen Inklusion gibt es in der Kultur noch eine Menge Nachholbedarf Nils Rottgardt

Doch ein Kunstwerk möglichst zugänglich für alle zu konzipieren, ist eine Herausforderung: »Wie macht man Sound wahrnehmbar für einen gehörlosen Menschen? Wie schafft man Poesie, die komplex und verdichtet ist, aber in Leichter Sprache vorgetragen wird?«, erklärt Nils Rottgardt die Überlegungen, die auch in der offenen Workshop-Reihe des RoboLAB-Festivals diskutiert werden, unter anderem mit dem belgischen Dichter Max Greyson, der am Konservatorium in Antwerpen zu künstlerischer Audiodeskrip­tion forscht. Einige Antworten ­finden sich bereits im Festival­programm: Etwa die Laser-Harfe des Künstlers Rostgaard, die einen Ton auf dem Synthesizer ansteuert, wenn man mit den Fingern die Laserstrahlen unterbricht. Oder das »Orakel« von Minh-Duc Co, ein Künstler aus dem kaethe:k kunsthaus, das in Kooperation mit der International School of Design in Köln entstanden ist: Mehrere Sprachen spricht Minh-Duc Co fließend, wechselt er von einer zur anderen, bemerkt er den Unterschied aber nicht — ähnlich ­einer künstlichen Intelligenz. Beim RoboLAB aufgestellt sind dann auch tatsächlich KIs, denen Besucher*innen Fragen stellen können: Eine Antwort geben sie in einer weiteren Sprache des Künstlers, nämlich in Form der Animee-Figuren, die er seit seiner Kindheit leidenschaftlich gerne zeichnet.

Und ein Kurzfilm-Programm wird gezeigt, dass die wenigen professionellen Schauspieler*­innen mit Behinderungen, die es in der deutschen Filmszene gibt, auf die Leinwand bringt. Nils Rottgardt kann sie an einer Hand abzählen, und erklärt gleich auch, warum die Vorstellung einmal auch am Nachmittag stattfindet: Denn auch beim vergangenen ­RoboLAB-Festival, als man an ­einem der Abende ein Filmprogramm mit Simultanübersetzung in Leichte Sprache zeigen wollte, stellte man mit Verwunderung fest, dass niemand kam, der die beiden anwesenden Übersetzer*­innen gebraucht hätte. »Irgendwann haben wir dann kapiert: Na klar, um diese Uhrzeit müssen sie ja schon in ihren Einrichtungen ins Bett gehen und das Betreuungs­personal hat Schichtwechsel.«

Humor sei wichtig bei dieser Arbeit, sagt Nils Rottgardt lachend, weil sie eigentlich ein permanentes Scheitern bedeute — und das Odonien sei für das inklusive Festival das perfekte Labor. »Weil wir den Raum hier viel mehr gestalten können, als es in einem Theater oder Museum mit Wänden und Treppenstufen möglich wäre.« So hat die Kommunikationsdesignerin Carole Kaufmann zusammen mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung Führungen in Leichter Sprache durch den Skulpturenpark von Odo Rumpf entwickelt. An einigen der Installationen wird es Angebote geben, die das Kunstwerk zum Beispiel auch für seheingeschränkte Menschen zugänglich machen sollen. »Wer auf das Gelände des Odonien kommt, wo ohnehin schon eine ­eigene, innere Logik herrscht, ist gleich offener und weicher«, sagt Nils Rottgardt und fügt lachend hinzu: »Da kann man mit der Kunst ganz anders am Herzen operieren.«

Odonien, 18.–23.8.
robolab.online