Stille Anarchistinnen

Saidiya Hartman porträtiert schwarze Rebellinnen

Geschichten von individueller Revolte, von konsequenter Verweigerung und stillem Aus- und Aufbruch — von existenziellem Anarchismus: Davon handelt Saidiya Hartmans »Aufsässige Leben, schöne Experimente«. Noch ein Buch über Rebellen, über Selbstermächtigung, über »mutige Menschen« mag man nun denken.

Aber Hartmann wagt sich in eine Szene, ein Netzwerk, eine Bewegung hinein, die keine sein durfte. Sie existiert nicht in der Geschichtsschreibung und war selbst für Polizeiakten und Spitzel­berichte zu provokant. Hartman schreibt über Schwarze Frauen in den USA, die freie Liebe praktiziert haben, die sich zu einem queeren Leben entschlossen, mit anderen Frauen zusammenlebten, kollektiv ihre Kinder erzogen. Wo sie nur konnten, haben sich diese Frauen dem Arbeitsleben entzogen. Sie waren Rebellinnen ohne »histo­rische Mission«: Sie taten es für sich, ohne Überbau, ohne Mani­feste und Theorie — noch mal: Sie haben es einfach gemacht.

Der Zeitraum, über den Hartman schreibt, liegt zwischen 1890 und 1935. Eltern und Großeltern der porträtierten Frauen waren häufig noch Sklaven. Die Rebellion ihrer Töchter und Enkelinnen war die Antwort auf die halbherzige, von Anfang an konter­karierte Sklaven-Emanzipation nach dem amerikanischen Bürger­krieg. Hartman, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin an der New Yorker Columbia University und Schriftstellerin, hat jahrelang für dieses Buch recherchiert, sie musste ihre Archivfunde konsequent gegen den Strich bürsten. Denn dort tauchten die Frauen nur als Delinquentinnen auf, als Objekte staatlicher Betreuung — also: Repression.

Hartman hat für sie eine Sprache gefunden, die so einleuchtend ist wie problematisch. Einleuchtend ist ihr poetischer, mit vielen literarischen Formen spielender Stil, weil er durch und durch von Solidarität und Zuneigung geprägt ist. Außerdem will sie für ein ­großes Publikum schreiben, will möglichst vielen Leuten diese Geschichten nahebringen. Andererseits wähnt man sich häufig in ­einem Roman: Alle ihre Porträts sind recherchiert, der Anmer­kungs­apparat ist umfangreich; dennoch neigt Hartman zur literarischen Überhöhung, zur Sinn­stiftung. Dann wirkt ihr Stil zu glatt oder auch zu schwelgerisch. Das ändert aber nichts daran, dass jedes Porträt ein nötiges Gegengift zu jeder (!) etablierten Geschichtsschreibung ist.

Saidiya Hartman: »Aufsässige Leben, schöne Experimente. Von rebellischen schwarzen Mädchen, schwierigen Frauen und radikalen Queers«
Claassen, 528 Seiten, 28 Euro