Roland Kaiser und Angie Hiesl: Grenzgänger der Performance-Kunst, Foto: Roland Kaiser 2019

Der Reiz des Raumes

Das Kölner Performance-Duo Angie Hiesl und Roland Kaiser erhält erneut Spitzenförderung des Landes NRW

Die ältere Dame sitzt auf einem Stuhl und faltet Wäsche. Die zusammengelegten Handtücher ­stapelt sie auf ihrem Kopf. Denn der Stuhl ist in mehreren Metern Höhe in eine Hauswand gebohrt, verwunderte Passant*innen heben im Vorbeigehen ihre Köpfe. Klick. Unzählige ineinander gesteckte weiße Gabeln schlingen sich wie das abstrakte Skelett einer Schlange über Bürgersteige, Fahrradständer und schließlich in das Hosenbein eines am Boden ruhenden Mannes. Klick. In einem verglasten Container im Schatten der Kranhäuser kämpfen zwei Frauen gegen umherfliegenden Müll, der von Ventilatoren durch die Luft gewirbelt wird.

Die Werke von Angie Hiesl und Roland Kaiser lassen sich wie eine Galerie der Irritation betrachten. Wenn sie in Aktion treten, kann man nicht anders als staunend und mit nachhaltig veränderten Perspektiven auf die eigene Umgebung zurückbleiben. Seit Jahrzehnten sind die beiden versierte Grenzgänger auf dem Gebiet der Performance-Kunst. Barcelona, Peking, São Paolo und Montreal: In der ganzen Welt werden ihre Arbeiten gezeigt und sind vielfach ausgezeichnet. Nun haben sie zum wiederholten Male die Spitzenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Sparte ­Freies Theater erhalten — als einziges Ensemble in Köln. Die För­derung garantiert eine dreijährige Unterstützung in Höhe von 80.000 Euro pro Jahr.

Angie Hiesl studierte im Schwer­punkt Tanz und Bewegungstheater an der Sporthochschule, es zog sie jedoch schnell in die freie Szene, wo sie sich schon früh mit raumspezifischen Möglichkeiten der Kunst befasste. ­Roland Kaisers Ursprung liegt im Tanz und im experimentellen Theater. Heute sind sie Choreograf*innen, Regisseur*innen, ­Lehrende, Kunstschaffende. In den 1990er Jahren lernten sich die beiden kennen und sind seither künstlerisch untrennbar verbunden. Dieses Jahr feiern sie ihr 25. Bühnenjubiläum. »Als wir uns begegnet sind, war schnell klar, dass wir ähnliche Ansätze und Herangehensweisen haben. Wir wollen dort hin, wo die Menschen sind und nicht erwarten, dass die Menschen aktiv zu uns kommen«, sagt Roland Kaiser. Die Werke von Hiesl und Kaiser sind divers, trotzdem gibt es immer wieder diesen gemeinsamen Nenner: Der öffentliche Raum im Bezug zum Menschen, zum Körper. Deswegen ist die Entscheidung über den Ort auch immer der Startpunkt der Arbeit. Die Botschaften hinter ihren Installationen sind politisch, gesellschaftlich und stets hinterfragend. Und sie spielen sich dort ab, wo das Sichtfeld nicht verfehlt werden kann: Im Herzen der Städte.



Die Spitzenförderung ist eine schöne Bestätigung. Es bedeutet, dass unsere Arbeit anerkannt wird
ROLAND KAISER

»Der öffentliche Raum ist das Messgerät unserer gesellschaftlichen Befindlichkeit. Wir gehen sehr viel von Alltagsbewegungen der Stadt aus, weil es mitten in der Realität ist. Dort holen wir unsere Kunst hervor und dort implantieren wir sie wieder«, erklärt Angie Hiesl. Und Roland Kaiser ergänzt: »Gleichzeitig ist die Stadt ja auch unser eigener selbstgewählter Lebens­raum.«

Seit Jahrzehnten sind die beiden in Köln ansässig und kennen ihre Stadt ganz genau. Neben den zahlreichen Kooperationen mit hiesigen Kulturinstitutionen wurde Köln selbst oft genug Schauplatz und Bühne ihrer Kunst. Wer so lange nicht nur in einer Stadt lebt, sondern auch mit ihr arbeitet, wird unweigerlich zum künstlerischen Chronisten der städtischen Entwicklung — im Guten wie im Schlechten. Auf die Frage, welchen Einfluss diese Entwicklung auf die Arbeit von Kunstschaffenden hat, sagen sie: »Kommerzialisierung und Gentrifizierung verändern die Stadt. Es gibt weniger freistehenden Raum und mehr Regulierungen, was einem ein gewisses Stück Freiheit nimmt. Das alles hat natürlich Einfluss auf Kunst und Veranstaltungen.« Gleichzeitig gebe es immerhin ein wachsendes Bewusstsein für den Leerstand und auch in der Kunstszene rege sich mittlerweile ein Umdenken hinsichtlich der Flexibilität von räumlicher Nutzung.

Aus Entwicklung ergeben sich schließlich auch immer neue Themenkomplexe. Das Leben in der Stadt geht weiter. Und auch für Roland Kaiser und Angie Hiesl ist noch kein Ende absehbar. »Die Spitzenförderung ist eine schöne Bestätigung. Es bedeutet, dass unsere Arbeit anerkannt wird«, sagt  Kaiser. Hiesl fügt hinzu: »Und sie ermöglicht uns kontinuierlich zu arbeiten.« Auch in ihren kommenden Projekten wollen sie die Möglichkeiten von städtischen Räumen ausreizen. Dem*der Leser*in sei geraten: Einfach mal die Augen offen halten. 

angiehiesl-rolandkaiser.de