Der Mann aus Nordsyrien betet und sagt gerade ein Duaa ­— ein Wunsch an Gott, © Megumi Yoshitake

Vergangenheit und Vergegenwärtigung

Das kulturelle Erbe Nigerias und Syriens im Rautenstrauch-Joest-Museum

Während erhitzte Debatten über die politische Korrektheit von ­Erinnerungsbildern zeitgenössischer Kunst im »Globalen Süden« die 15. Großkunstschau in Kassel auf den Prüfstand bringen, blicken in Köln zwei Ausstellungen im Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM) zurück auf vergangene Kulturen. Sie tun dies durchaus politisch brisant, aber zuversichtlich und mit unterschiedlicher Ziel­setzung. Gemeinsam ist beiden Schauen, dass die dort versammelten Objekte sowie das zusammengetragene Wissen dezidiert die breite Öffentlichkeit ansprechen sollen. Die fortlaufende Ausstellungsreihe »I MISS YOU. Über das Vermissen, Zurückgeben und Erinnern« präsentiert aktuell eine Auswahl der hauseigenen Sammlung mit etlichen vermutlich ­illegal erworbenen, gar geraubten Kunstwerken aus Nigeria, von ­denen einige zum Jahresende wieder zu ihren Besitzern nach Afrika zurückkehren. Unter dem ähnlich klingenden Titel »Syrien — Gegen das Vergessen« stellt die von dem Archäologen und Kunsthistoriker Jabbar Abdullah kuratierte Überblicksschau Kulturgüter Syriens vor. »Über den gewöhnlichen Alltag der noch im Land ­lebenden Syrer, über die Kulturgüter Syriens und nicht nur über Ausnahmesituationen im Krieg soll hier erzählt werden«, betont der Kurator, dem es überdies besonders wichtig ist, dass geflüchteten Syrer*innen und ihren in Deutschland aufgewachsenen Kindern Kulturschätze der Heimat vor Augen geführt werden. Bislang gab es in der Bundesrepublik nur eine Ausstellung zur syrischen Kultur: Unter dem Titel »Von Mossul nach Palmyra« wurde 2019 in der Bundeskunsthalle das vom Krieg zerstörte Kulturerbe behandelt.

Der Rundgang führt durch eine farbenprächtige Objektwelt des Landes, die begleitet wird von akustisch und visuell vermittelten Erzählungen. Gleich im Eingangsbereich befinden sich die ältesten Erinnerungsstücke: Etwa eine 2.800 Jahre alte Terrakotta-­Figur, die einst religiösen Ritualen diente. Einige Schritte weiter illustrieren etliche Accessoires ­syrische Freizeitaktivitäten, etwa in den Hamams, jenen orientalischen Anlagen bester Körper-und Badekultur. Besondere Erwähnung verdienen hier durchaus die ­höher als Plateauschuhe aufgestockten spektakulären Hamam-Schlappen aus Holz. Viel Schmuck führt das syrische Kunsthandwerk vor Augen. Und wer genau hinschaut, entdeckt zwischen den Exponaten die an sich wenig auffällige Fotografie vom Grandhotel Baron in Aleppo, in dem der echte Lawrence von Arabien, Vorlage für den gleichnamigen Titelhelden des Monumental- und Historienfilmes aus den 60er-Jahren, in Zimmer Nr. 202 nächtigte.

Die nicht minder legendäre Gastfreundschaft der Syrer veranschaulichen allerlei Küchengeräte sowie Farbaufnahmen von kulinarischen Attraktionen und Köchen bei der Arbeit. Bildliches Zeugnis von Raqqa, der florierenden Stadt zwischen Euphrat und Tigris und der landwirtschaftlich höchst produktiven Kultur in ihrem Umkreis, legt eine großformatige Fotografie ab. Ebenso erweisen sich eine dicke Beduinenjacke aus Schafsfell sowie einige Varianten des prächtigen Kopfschmucks, den Frauen über den Kopftüchern tragen, als Zeichen von Reichtum. Raqqa, im Übrigen lange Zeit auch Sitz der Terror-Organisation Islamischer Staat, ist die Geburtsstadt des ­Kurators, dem es in der Ausstellung auch sehr darum geht, die Multikulturalität sowie die religiöse Vielfalt seines Landes vorzustellen, die vielen Syrer*innen aufgrund der rigorosen Verbote des Assad-Regime leider vorenthalten geblieben ist.

Die Dokumentationen der vom IS zerstörten, antiken Oasenstadt Palmyra mag Besucher*innen sehr berühren, vor allem angesichts der heute nur noch virtuell auf dem Touchscreen abruf­baren ­faszinierenden Artefakte. Auch sollte der Parcours nicht vergessen lassen, dass es in Deutschland viele künstlerische oder kunsthandwerkliche Artefakte aus Syrien gibt, die darauf warten, in ihr Herkunftsland restituiert zu werden, sobald die Infrastruktur dort für eine Wiederaufnahme hergestellt ist.

Womit das zentrale Thema der Ausstellung nebenan angesprochen wäre, die sich ausschließlich der Restitution widmet. Auffallend ist hier, dass all die rituellen, religiösen oder sakralen Objekte in Vitrinen ohne jede Beschriftung zu sehen sind. Damit wird auf die Deutungshoheit verzichtet, die sich Ausstellungsmacher*innen mitunter herausnehmen, wenn sie gerade jenen außereuropäischen Kulturkontexten entstammenden Artefakten bestimmte ­Eigenheiten zuweisen, die einer westlichen, mitunter akademischen Sicht entsprechen. So erklärt sich die Videoprojektion auf dem Fußboden: Dort ist zu sehen, wie die Hände von Peju Olowu Layiwola, Enkelin des bis 1978 herrschenden Beninkönigs, kleine Etiketten entfernen und damit den von Archivnummern befreiten ­Objekten ihre ursprüngliche spirituelle Funktion zurückgeben. ­Übrigens stehen für wissbegierige Besucher*innen auf einem Tisch kleine Abbildungen der Ausstellungsstücke mit den wichtigsten Werkinformationen zur freien Mitnahme bereit.


Vielen Syrer*innen ist die Multikulturalität sowie die religiöse ­Vielfalt ihres Landes aufgrund der rigorosen Verbote des Assad-Regime leider vorenthalten geblieben.

Nanette Snoep, Direktorin des RJM, konnte, das sei hier betont, durch ihren unermüdlichen Einsatz den Generaldirektor der »National Commission of Museums and Monuments« (NCCM) aus ­Nigeria, Professor Abba Tijani, in ihr Haus locken, um die Hofkunstschätze seines Landes in Augenschein zu nehmen. Und um in ­Bälde, so der Nigerianer. »die Benin-Werke wieder ins Bewusstsein der jungen Menschen in Nigeria zu bringen, nachdem mehrere Generationen über 120 Jahre lang von diesem wichtigen Teil ihrer Geschichte getrennt waren.« In Berlin wurde in den Sommerwochen im Beisein von Peju Olowu Layiwola als Patin der RJM-Sammlung, die politische Erklärung zur Restitu­tion von Benin-Hofkunstwerken aus mehreren deutschen Museen unterzeichnet.

Zu den prominentesten Stücken dieser Erinnerungsausstellung zählt fraglos das Symbol der deutschen Restitutionsdebatte: der Gedenkkopf eines Großvaters aus dem Königreich Benin aus dem 17. Jahrhundert, dessen bis zu den Lippen reichende Halsringe das Ausmaß seiner Macht symbolisieren. Übrigens präsentierte das RJM schon letztes Jahr seine insgesamt 96 der noch zu restituierenden Hofkunstwerke in der Ausstellung »RESIST! Über Kunst des Widerstandes«. Und in diesem Zusammenhang ist Nanette Snoep nur zuzustimmen, wenn sie in ­einem ihrer letzten Facebook-Posts darauf hinweist, dass »Restituieren nur ein kleiner Teil eines schwierigen und langen Prozesses« sei und zu Wachsamkeit rät »solange die entscheidenden Strukturen« in diesem neuen Dialog »hegemonial und weiß sind«.

Syrien — Gegen das Vergessen, bis 11. September 2022
I miss you — Über das Vermissen, Zurückgeben und Erinnern, fortlaufende Ausstellungsreihe
Cäcilienstraße 29–33, Di–So 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr, 1. Do im Monat 10–22 Uhr (an Feiertagen 10–18 Uhr)