Gemeinsam heterogen

Im August eröffnet die Cologne Jazzweek die Konzertsaison: ein großes Spektakel. Aber wie geht es eigentlich der Jazz-Szene?

Jazz in Köln boomt. Kölner Jazz boomt. Stadtgarten und Loft sind international bekannte Spielorte. Längst haben sich andere Venues dazu gesellt: Das King Georg mit seiner Ausrichtung auf die Straight-Ahead-Szene, der Club Bahnhof Ehrenfeld mit seiner Verwurzelung in schwarzer und lateinamerikanischer Popkultur. Und vorneweg: Die Cologne Jazzweek, die sich mit ihrem letztjährigen Debüt fast schon etablieren konnte.

Alles eitel Sonnenschein? Kein Grund zur Klage? Oder steht die Kölner Szene kurz vor der Überhitzung? Anlässe gibt es jedenfalls genug, kurz vor der Jazzweek bei einigen Protagonisten der ­Szene nachzufragen.

Ich steige mit der denkbar allgemeinsten Frage ein: Wie ist bei euch »Jazz-Machern« die ­Stimmung? Habt ihr die Befürchtung, dass die ­aktuelle Welle öffentlicher Unterstützung für den Jazz bald brechen könne?

Janning Trumann: In der Kölner Politik wissen alle, dass im Doppel-Haushalt 2023/24 die ­Gelder für die Kultur nicht so üppig ausfallen werden. Der Ukraine-Krieg spielt rein, Corona-Schulden müssen abbezahlt werden. Dadurch werden die Spielräume kleiner. Die Jazz-Szene ist insofern gut aufgestellt, weil der Kultur­dezernent Stefan Charles es geschafft hat, dass 2024 der deutsche Jazzpreis nach Köln kommt. Damit ist klar, dass die Stadt auf die nationale und internationale Ausstrahlung der Kölner Jazz-Szenen setzt, und wenn sie diese weiter erhalten will, muss sie sich dazu be­kennen, den Jazz in Köln entsprechend zu ­fördern. Also ich bin vorsichtig optimistisch.

Urs Benedikt Müller: Die Stimmung ist eigentlich gut. Das hat auch damit zu tun, dass in Köln die Förder- und Unterstützungsmaß­nahmen für Musiker während der Pandemie gegriffen haben. Die meisten Maßnahmen ­laufen aber dieses Jahr aus oder sind bereits ausgelaufen. Es gibt wohl noch Bundesmittel, die ins nächste Jahr mit rüber genommen ­werden können. Aber Robert von Zahn vom Landesmusikrat NRW vermutet, dass auch das Mitte 2023 beendet sein wird. Das heißt konkret, dass von vielen Musikern die Zukunfts­perspektive bedrohlicher ein­geschätzt wird.

Dieter Manderscheid: In vielen Fällen ist die Unterstützung projektgebunden, also eine kurzfristige Angelegenheit. Das macht es schwer, auf lange Sicht Zuversicht zu haben. Auf der anderen Seite stimmen die Breite der öffentlichen Wahr­nehmung der Musik und der Szene und die Anzahl der Leute, die sich institutionell und politisch für sie einsetzen, immer noch optimistisch. Die Kämpfe um Etats, um Planungs­sicherheit — die sind trotzdem nicht vorbei. Aber sie finden auf einem höheren ­Level statt. Vor zehn, 15 Jahren war die kultur­politische Repräsentation der Jazz-Szene viel schlechter aufgestellt. Kulturpolitisch haben wir große Fortschritte gemacht. Deshalb ­schätze ich die Perspektiven generell als ­tragfähig ein.

Friederike Darius: Ich habe die Frage anders verstanden. Nämlich: Wie geht’s der Szene? Und die definiert sich ja nicht nur über Geld. Ich bin am Konservatorium in Amsterdam und habe viel mit jungen Leute zu tun, und ich kann nur sagen: Die junge Szene, nicht nur in Köln, ist ungemein lebendig! Sie ist krea­tiv, sie sprudelt, sie komponiert — und das ist erst mal unabhängig von Fördergeldern. Die jungen Leute schließen sich zu großen Ensem­bles ­zusammen, ohne sich als erstes zu fragen: Rechnen die sich eigentlich, tragen die sich?

Die junge Szene, nicht nur in Köln, ist ungemein lebendig! Sie ist kreativ, sie sprudelt, sie komponiert — das ist erst mal unabhängig von Förder­geldern
Friederike Darius

Frage in die Runde: Wie geht’s dem Publikum? Zieht es mit? Bleibt es angesichts der Fülle neuer Musiker am Ball? Ist ja schön, wenn Kulturpolitiker mehr auf uns hören, aber wir spielen doch für ein größeres Publikum!

Urs Benedikt Müller: Dadurch, dass die Konzertdichte zur Zeit unheimlich hoch ist und die meisten Konzerte gefördert werden, habe ich auch schon erlebt, dass es Musikern relativ egal ist, wie viele Leute kommen. Natürlich ist es auch für die Musiker schöner, vor vollem Saal zu spielen. Aber die Dichte an Konzerten führt dazu, dass sich das Publikum eben auf mehr Auftritte verteilt. Ich denke nicht, dass sich in den vergangenen zwei Jahren das Publikum für Jazz deutlich vermehrt hat, obwohl zum Beispiel wir im Loft schnell auf Streaming-Formate umgeschwenkt sind. Das sind sehr niedrigschwellige Angebote, mit denen man auch neues Publikum erreichen könnte. Nach der Corona-Krise, die eigentlich nicht vorbei ist, erlebe ich das Publikum recht verhalten. Große Namen ziehen nach wie vor, aber für viele Musiker, die schon einen exzellenten Ruf haben, hätte ich mir mehr Publikum gewünscht. Aber auch das ist Köln: Sobald die Sonne scheint, gehen viele lieber in Biergärten als in Konzertsäle.

Janning Trumann: Der Kontakt zum Publikum hat für mich auch mit der Frage zu tun: Wie präsentieren wir uns als Szene, wie wollen wir nach Außen auftreten? Und für welches Publikum spielen wir? Gerade in Köln kommen Jahr für Jahr neue Jazz-Musiker hinzu, nicht immer wächst das Publikum mit — oder die Veranstaltungsorte. Da finde ich es wichtig, dass wir uns diese Fragen vorlegen und nicht nur auf die Quantität schielen.

Friederike Darius: Immer mehr Musiker, die nachwachsen, aber die Venues werden nicht mehr: Das ist vielleicht in Köln besonders ausgeprägt. Wie finden sie ihren Weg, um in die Programme der Spielstätten zu kommen? Mir scheint das die zentrale Frage zu sein.

Dieter Manderscheid: Aber das ist ein altes Problem! Ich würde sagen, relativ gesehen ist das Verhältnis von Musikern und Spielangeboten gleich geblieben, es ist jedenfalls nicht schärfer geworden. Für uns an der Hochschule war klar: Vieles, was für die Musiker wichtig ist, findet nicht bei uns statt, sondern in der Stadt, in den Konzertsälen und Bars. Die Jüngeren müssen sich von Anfang an ihr Publikum erspielen. Das haben wir als Lehrer auch immer eingefordert. Wir haben unser Ausbildungsprogramm als Anleitung verstanden, sich eben nicht in den Proberaum oder ins Seminar zurückzuziehen, sondern rauszugehen. Musik ist ein soziales Ereignis!

Janning Trumann: Das kann ich bestätigen, ich habe ja auch hier studiert. Ab dem fünften Semester war ich eigentlich nicht mehr an der Hochschule, sondern immer unterwegs — und konnte auch auftreten. Das spricht einerseits für den Jazz-Studiengang, das spricht aber auch für Orte wie den Stadtgarten oder das Loft, wo ich als junger Musiker Offenheit erlebt habe.


Die Jazz-Szene ist insofern gut aufgestellt, weil Kultur­dezernent Stefan Charles es geschafft hat, dass 2024
der Deutsche Jazzpreis nach Köln kommt
Janning Trumann

Ich kontere mit einer allgemeinen Frage: Ich habe jetzt mitbekommen, dass ihr alle mit jungen Musikerinnen und Musiker zu tun habt und dass die junge Szene eure Binnenperspektive bestimmt. Aber wenn ich an das normal informierte Publikum denke, zu dem ich mich auch zähle, dann stehen dort immer noch die Klassiker an erster Stelle, wenn es um die Frage geht, was und wer Jazz definiert. Gibt es also ein Übergewicht an Geschichte im Jazz? Den langen Schatten der Tradition? Aus dem die Jüngeren nur schwer heraustreten können?

Friederike Darius: Das hat sich geändert, gerade in den letzten zehn Jahren. Ich denke, dass dem Jazz der Generationenwechsel immer gut gelungen ist. Esperanza Spalding hat eine große Fanbase; oder auch Louis Cole. Das sind Grammy-Preisträger, die erreichen mehr Leute als Monk oder Mingus zu ihrer Zeit.

Dieter Manderscheid: Erst einmal gebe ich Friederike recht. Dann finde ich, dass der Verdacht, den Felix geäußert hat, sich auf alle Musikrichtungen erstreckt. Vom Pop behauptet man das doch auch, erst recht von der westeuropäischen und nordamerikanischen komponierten Musik. Mehr noch: Dieser Verdacht wurde fast zu jeder Zeit geäußert! In den 1960ern hieß es, die Popstars kopieren einfach nur den Rock’n’Roll der 1950er, und Ende des 19. Jahrhunderts wurde beklagt, die europäische Kunstmusik sei am Ende und wiederhole sich bloß. Anders gesagt, diese Vermutung unterschätzt den kreativen Drang, der in den jungen Musikern steckt, sträflich!

Urs Benedikt Müller: Und das Publikum ist neugierig! Es schaut sich um in den sozialen Netzwerken, informiert sich, recherchiert, und die Jazz-Szene profitiert davon, lässt sich auch darauf ein. Wenn ich an Pablo Held denke, an Jakob Manz, Johanna Summer, um spontan ein paar Namen zu nennen, das sind Musiker, die im Netz präsent sind, den Kontakt zum Publikum suchen.


Den Kölner Stil zeichnet aus, dass er eigentlich keiner ist. Die Bands sind zu heterogen, das verweist aber auf eine ­stilistische Offenheit, die allen gemeinsam ist
Dieter Manderscheid

Was hat sich in den letzten 20, 30, 40 Jahren im Jazz geändert?

Dieter Manderscheid: Was weg ist, sind die Grabenkämpfe, die Glaubenskriege um den richtigen Jazz, um den wahrhaftigen musikalischen Stil, was ich gut finde! Es gibt weniger Scheu, mehr Informationen. Die Neugierde ist viel größer, die Musiker erfahren eine Art Grenzenlosigkeit, die manchmal ins Beliebige kippt — auch das passiert. Es gibt eine Qualitätssteigerung der Handwerklichkeit, die, nicht nur im Jazz, grenzwertige Ausmaße annimmt. Eine höhere Komplexität der Musik führt nicht automatisch dazu, dass sie mehr Aussagekraft, mehr Wirkung, mehr impact hat. Handwerk allein macht die Kunst noch nicht zur Kunst. Für alle, die Jazz vermitteln, ist das eine Herausforderung, wir müssen mehr im Blick haben als nur Handwerk.

Friederike Darius: Jazz-Mainstream ist nicht mehr Jazz-Mainstream, sondern hat sich mehr und mehr geöffnet. Die freie Improvisation ist ihrerseits nicht mehr so dogmatisch, und insgesamt sind die Übergänge zur Pop-Musik fließender geworden, umgekehrt ist die Wertschätzung von Jazz im Pop gestiegen. Das ist ein globales Phänomen.

Urs Benedikt Müller: Man agiert auf Augen­höhe. Das mag in Köln früher anders gewesen sein, da hat es vielleicht mehr Hierarchien gegeben, mehr Ausgrenzung. Ich muss ganz offen sagen: Das war vor meiner Zeit. Ich erlebe in der Jazzkonferenz und in der Initiative Freie Musik gegenseitige Wertschätzung und über alle Stilgrenzen hinweg die Bereitschaft zur Kooperation.

Janning Trumann: Auf mich kommen immer noch Leute zu, die meinen, der Jazz kommt aus dem Keller, der ist von Existenzangst getrieben, der braucht den Druck, um kreativ zu sein. Das sehe ich nicht so, das ist falsche Romantik. Aber andererseits darf die Förderstruktur, die sich ganz enorm und zum Positiven geändert hat, nicht dazu verleiten, dass für ein gelungenes Jazz-Konzert schon ein bewilligter Förderantrag reichen würde. Sich darauf zu verlassen, das ist zu wenig, das wird unserer Musik nicht gerecht. Ich denke aber, dass wir in Köln über diesen Punkt hinweg sind, gerade weil Szene-intern so viel über die Musik geredet wird, weil hier Orte wie der Stadtgarten einst erkämpft werden mussten. Dieses Engagement prägt auch die Jazzweek, wo wir uns in der Planung fragen: Für welches Publikum spielen wir — wollen wir spielen?

Die Strukturen scheinen ausgereift. Aber besteht da noch Platz für Einzelgänger?

Dieter Manderscheid: Es gibt da eine Frage, die ich öfters höre, erst kürzlich wieder: Wäre Thelonious Monk an der Kölner Hochschule aufgenommen worden? Monk als der exemplarische, polarisierende Einzelgänger im Jazz — hätte der in Köln eine Chance gehabt? Ich kann dazu nur sagen, dass es für den akademischen Betrieb, aber auch für die Veranstalter, eine wichtige Aufgabe ist, sensibel für Außenseiter zu bleiben.

Friederike Darius: Ganz einfach, man kann Musiker werden, ohne Hochschulabschluss. Willem Breuker ist der wichtigste Jazz-Komponist Hollands der letzten Jahrzehnte, ­dessen Kollektief wurde ein musikalischer ­Export-Schlager. Breuker hatte sich in den 1960ern an zig Musikhochschulen beworben, er ist nirgendwo angenommen worden. ­Manchen Leute passen einfach nicht in das Hochschulsystem, das sagt nichts über ihre Arbeit.


Das Publikum ist neugierig! Es schaut sich um in den ­sozialen Netzwerken, ­informiert sich, und die ­Jazz-Szene profitiert davon, lässt sich auch darauf ein
Urs Benedikt Müller

Zum Abschluss eine große Frage, die ihr aber bitte kurz und knackig beantwortet: Was zeichnet den Kölner Jazz-Stil aus?

Friederike Darius: Hybride Ensembles: ungewöhnliche Besetzungen, musikalisch sehr ­variabel, häufig kammermusikalisch, im Kern komponiert, aber viel Platz für Improvisa­tionen bietend — und: Es gibt immer noch Bandleader.

Urs Benedikt Müller: Ein hoher improvisatorischer Anteil, weit über den Tellerrand schauend, sehr zeitgenössisch, wenig Generationenkonflikt, viele Big Bands und Large Ensembles. Vielleicht die stärkste Big-Band-Szene in ganz Deutschland.

Dieter Manderscheid: Den Kölner Stil zeichnet aus, dass er eigentlich keiner ist. Das war schon zu Beginn der 1980er Jahre so. Die Bands sind zu heterogen, das verweist aber auf eine stilistische Offenheit, die allen gemeinsam ist. Indirekt macht das den Stil aus.

Janning Trumann: Selbstbestimmt. Das trifft spartenübergreifend zu. Der Schlüssel dafür liegt in der Verwebung von Improvisation und Komposition. Das führt dazu, dass man schnell seinen eigenen musikalischen Charakter ausbilden muss, weil jeder Weg letztlich ein individueller ist.