Holweide — Kölns schönstes Dorf

Gut verborgen zwischen Mülheim und Dellbrück liegt einer der unbekannteren Kölner Stadtteile: Holweide. Aber das ändert sich gerade. Immer mehr Kölner*innen entdecken das Veedel im Osten. Sie wandern an der Strunde, haben ­einen Kleingarten oder finden ihre nächste Wohnung im dörflichen Holweider Süden.

Auch Anja Albert, Jan Lüke, Anne Meyer und Christian Werth­schulte haben sich auf den Weg nach Holweide gemacht. Neben pittoresken Häuschen haben sie dort Erinnerungskultur, eine visionäre Pädagogik und wunderbar leere Grünflächen gefunden.

Thomas Schäkel hat all das in Bildern festgehalten.

 

Holweide hat Schule gemacht

Wenn es um Gesamtschulen geht, ist Holweide Vorbild für ganz NRW. Die 1975 gegründete Gesamtschule Holweide arbeitet seit 1986 inklusiv und bietet gemeinsamen Unterricht für alle Kinder an. Auch das pädagogische Konzept hat wegweisenden Charakter: Die Lehrkräfte haben in den 70er Jahren das »Team-Kleingruppen-Modell« entwickelt, das mittlerweile Einzug in die meisten Gesamtschulen gehalten hat. Drei Klassen eines Jahrgangs werden von derselben Lehrergruppe unterrichtet (»Team«) und die verschiedenen Schüler*innen einer Klasse arbeiten ebenfalls in festen, heterogenen Kleingruppen zusammen. Zudem ermöglicht eine Sonderregelung, der »Holweide-Erlass«, der Schule, ihre Schüler*innen später als üblich nach ihrer individuellen Leistungsfähigkeit in Gruppen aufzuteilen und möglichst lange gemeinsam zu unterrichten.
Auch das Sport-, Kultur- und Freizeitangebot ist vielfältig und steht zum Teil auch Anwohner*innen zur Verfügung: mehrere Fußball-, Basketball und Beachvolleyballfelder, Klettermöglichkeiten inklusive Boulderblock, Streuobstwiese und Schülergarten; aber auch die Schulband, das Zirkusprojekt Zappelino, die Theatergruppe und der von Schülern organisierten Dritte-Welt-Laden sind über das Veedel hinaus bekannt.

Anja Albert

 

 

Klinikum im Krankenstand

Kaum ein Thema erzeugt soviel Einigkeit in Holweide wie der Erhalt des städtischen Krankenhauses. »Wir brauchen ein Krankenhaus«, sagt Mäggy Ruhkopf von der Bürgervereinigung Holweide. »Es gibt Ängste bei der Nahversorgung«, sagt Willi Vögeli vom Runden Tisch Hol­weide und erinnert daran, dass die Krankenhausversorgung im Rechtsrheinischen ohnehin schlechter sei. Es gab Unterschriften­listen, Demonstrationen und eine überparteiliche Erklärung der Bezirksvertretung — bislang ohne Erfolg.

Ralf Unna, Grünen-Gesundheitsexperte und Vorsitzender des Klinik-Aufsichtsrats, befürchtet, dass das Klini­kum in Holweide in seiner jetzigen Form nicht zu erhalten ist. Im neuen Krankenhausgesetz seien Mindest­quoten für Operationen festgelegt, die weder in Holweide noch in Merheim alleine erreicht werden könnten. »Langfristig werden wir Abteilungen zusammenlegen müssen«, sagt Unna. Aber wann und wie genau das geplant ist, darüber ist nichts zu erfahren — denn noch gibt es keine Fortschritte bei der geplanten ­Fusion von Städtischen Kliniken und Uniklinik. Für Willi Vögeli ist das doppelt frustrierend: »Wer garantiert uns, dass bei diesem Modell nicht in fünf Jahren alles nochmal anders diskutiert wird?«

Christian Werthschulte

 

 

Wie im Märchen

Die Märchensiedlung erinnert sich an ihren Architekten ­Manfred Faber

Die Märchensiedlung ist der Grund, warum es viele Kölner*innen am ehesten nach Holweide verschlägt. Kein Wunder, denn ihre Architektur ist einmalig. Die 177 Häuser der Siedlung sind nach dem Vorbild der britischen Gartenstadt gebaut. Ihre Architektur vereint zwei Stile: zum einen den von der Romantik beeinflussten »Heimatstil städtischer Prägung« mit kleinen Türmchen und geschwungenen Formen; zum anderen die geraden Linien des Neuen Bauens. Aber weil die meisten Wege und Straßen nicht gerade angelegt sind, schleicht sich beim Schlendern durch die Siedlung das Gefühl ein, in einem Dorf zu leben und nicht in einer streng typisierten Siedlung.

Gebaut wurde die Märchensiedlung ab 1921 von der GAG für Angehörige der Mittelschicht, die die Häuser im Mietkauf erwerben konnte. Und weil auch Menschen mit mittlerem Einkommen in den 1920er Jahren noch darauf angewiesen waren, sich selbst zu ernähren, hat jedes Haus einen großen Garten, in dem Gemüse­anbau oder das Halten von Hühnern möglich war. Heute macht besonders der bis zu 200 Quadratmeter große Garten die etwa 100 Quadratmeter großen, denkmal­geschütz­ten Häuser beliebt.

Weniger bekannt als die Siedlung ist ihr Architekt: Manfred Faber. »Es ist fast so, als wäre Manfred Faber ausradiert worden«, sagt Brigitte Seifer-Rüttgen, die in der Märchensiedlung wohnt. Denn Faber war nicht nur Archi­tekt, sondern auch Jude. 1879 wurde er in Karlsruhe geboren, ab 1914 war er in Köln ­tätig. In der Kölner Architektur-Szene erwarb sich Faber schnell einen ausgezeichneten Ruf. Für die GAG baute er mehrere Häuser am Hönin­ger Weg in Zollstock und ab 1927 die Naumann-Siedlung in Riehl. Aber mit der Macht­ergrei­fung der Nazis war auch Fabers Existenz bedroht. 1936 wurde er wegen seiner Herkunft aus dem Kölner Architekten- und Inge­nieursverein ausgeschlossen, auch die GAG verschweigt in einer Broschüre von 1938 seinen Namen. Die meisten seiner Kunden hatte Faber zu diesem Zeitpunkt  schon ver­loren. Lediglich die Familie Hanstein, Besitzer des Kunsthauses Lempertz, dessen Räume am Neumarkt Faber 1933 und 1934 gestaltete, erteilte ihm noch Aufträge. 1942 wurde Faber nach Theresienstadt verschleppt und schließlich am 15. Mai 1944 in Auschwitz ermordet.

In der Märchensiedlung war ihr Architekt unbekannt — auch Brigitte Seifer-Rüttgen. Als ihre Nachbarin Erika Baumberger neu in die Siedlung zog, haben ihr Freunde eine Führung unter dem Motto »Wilhelm Riphahn« geschenkt. »Dafür haben wir recherchiert und festgestellt: Das stimmt ja gar nicht.« Der bekannte Kölner Architekt hat lediglich drei Häuser der Märchensiedlung entworfen, der Rest stammt von Manfred Faber. Baumberger und Seifer-Rüttgen stiegen gemeinsam mit ­ihren Partnern tiefer in die Recherche ein. Sie organisierten sich Baupläne, lasen Bücher und schauten in die Archive der GAG. Manfred ­Faber sollte nicht ein zweites Mal Unrecht wider­fahren.

Das Ergebnis ihrer zweijährigen Recherche ist in der Siedlung selbst dokumentiert: An verschiedenen Stellen informieren Infotafeln mit historischen Fotos über Fabers Leben, sowie die Entstehung und Architektur seiner Siedlung. Am »Plätzchen« an der Kastanie am Rotkäppchenweg erinnert eine Gedenktafel an Manfred Faber. Den Stein hat ein lokaler Steinmetz gespendet, die restlichen Gelder ­kamen von Initiativen, der GAG und den Bewohner*innen der Siedlung. Zur Einweihung im Mai 2022 sind 150 Menschen gekommen. Brigitte Seifer-Rüttgen hielt zu dem Anlass eine Rede: »Wir hoffen, den vergessenen Architekten unserer Märchensiedlung wieder in unser Leben zu holen — gegen das Vergessen, gegen Rassismus, für ein menschliches Miteinander.«

Christian Werthschulte

 

 

Für immer Durchfahrt?

Viele kennen Holweide nur vom Durchfahren. Radelnde fahren entlang der Wiesen an der Strunde, LKWs und PKWs stauen sich auf der Bergisch-­Gladbacher ­Straße, die den Ort durchschneidet. »Wegen der Autobahn und des Durchgangsverkehrs ist die Verkehrsbelastung sehr hoch«, sagt Willi Vögeli vom Runden Tisch Holweide. Die Folgen sieht man im Ortskern: Die Bergisch-Gladbacher Straße ist kein Ort, an dem man sich gerne aufhält.

Im neuen Verkehrskonzept für Holweide sind ­kleinere Änderungen für den Autoverkehr vorgesehen — zumeist eine Verlagerung in Neben­straßen. Mehr Abhilfe würde eine Umgehungsstraße schaffen, finden viele Holweider*innen. Überlegungen dafür gibt es schon lange, besonders intensiv wurde ein Auto­bahnzubringer nach Merheim über eine alte Bahnstrecke von Bergisch-Gladbach diskutiert. Einwände dagegen gibt es viele: Entlang der Trasse liegen Wohngrundstücke und Biotope. Das Land NRW will trotzdem demnächst planen, der Stadtrat Bergisch-Gladbach hätte lieber ­einen Radweg dort.

Radfahrende sollen zudem bald einen Schnellradweg von Deutz nach Bergisch-Gladbach bekommen. Über die genaue Route wird im Moment noch diskutiert, wann sie eröffnet wird, ist ebenso offen.

Christian Werthschulte

 

 

Grüner Pfad in die Stadt

Holweides interessantester Naturraum ist eine ehemalige Deponie. Entlang der S-Bahn-Trasse im Norden erstreckt sich auf sieben Hektar die Holweider Brache. In den 60er und 70er Jahren wurde hier vermutlich Bauschutt gelagert. »In ganz frühe­ren Zeiten wurde die Fläche beweidet«, sagt Gabri­ele Falk vom BUND Köln. »Davor war es ein Kar­toffelacker.« Seit 2019 betreut der Umweltverband den sogenannten Geschützten Landschaftsbestandteil. Ein »schönes Durcheinander« nennt Falk den vielfältigen und naturnahen Ort. »Die Brombeere ist leider sehr dominant.« Der BUND möchte mehr natur­nahe Wiesen entwickeln. »Tatsächlich kennen nur wenige Menschen dieses Gelände«, erzählt Falk. Bekannter ist eine Naturfläche im Holweider Westen: Am Schlagbaumsweg hat die Stadt eines von zwei Kölner Gartenlaboren errichtet, derzeit gärtnern hier etwa 30 Menschen. Die Initiative »Grün in Holweide« kümmert sich um die Natur in den Straßen und auf den Plätzen. Sie vergibt Patenschaften für Bäume und Baumscheiben oder setzt Blumen an der Wiese am Marktplatz. Das Holweider Grün ist auch für den Rest der Stadt bedeutsam: Weil Köln östlich in die Bergische Heide­terrasse übergeht, ist es für viele Pflanzen und Tiere ein Trittstein in die Stadt hinein oder aus ihr hinaus. 

Jan Lüke

 

Geschlossene ­Gesellschaft

Kölns wohl schönste Gated Community ist nicht von Zäunen, sondern von Wassergräben umgeben: Die Isenburg liegt idyllisch neben Strunde und Viehweiden auf einer leicht erhöht gelegenen Insel und zählt zur ältesten Besiedlung Holweides. Schon im 14. Jahrhundert wurde sie in einer Urkunde erwähnt. Seit langem ist sie eine rein ­private Wohnanlage.

Wer es sich leisten konnte, durfte eine Zeitlang noch das Restaurant in dem früheren Rittergut besuchen und das Flair der Wasserburg bei gebratener Gänsestopfleber genießen. Doch 2011 schloss das Restaurant und wurde ebenfalls in eine Wohnung umgewandelt. Den Turm aus dem 16. Jahrhundert mit Zwiebelhaube, das klassizistische Herrenhaus und die Vorburg aus Backsteingebäuden — all das können die Holweider seither nur über die Wassergräben hinweg bewundern.

Anne Meyer

 

 

Apfelfest und Sterneküche

Holweide ist ein kleiner Stadtteil, deshalb werden viele Aktivitäten von ehrenamtlichen Initiativen organisiert. Egal ob Apfelfest, »Holweide rockt«, Adventsmarkt oder Veedels­spaziergänge — über die Internetseiten der Bürgervereinigung (holweide-bv.de) und des Runden Tischs Holweide (runder-tisch-­holweide.de) bleibt man auf dem Laufenden. Der Runde Tisch informiert auch regelmäßig zu lokal­politischen Themen.

Holweider*innen beklagen oft das Kneipensterben in ihrem Stadtteil. Aber wenn man sie treffen möchte, dann geht das am besten im Bistrorant (Bergisch-Gladbacher Straße 465) oder in einer der ältesten Kneipen, der Gaststätte Gross (Neufelder Straße 12). Nur für ein richtig gutes Essen verlässt man den Stadtteil besser ins benachbarte Dellbrück. Dort betreibt Sternekoch Marlon Rade­macher sein »La cuisine Rademacher« (Dellbrücker Hauptstraße 176).

Christian Werthschulte

 

Eine Geschichte aus zwei Stadtteilen?

Im Holweider Norden arbeiten viele Initiativen daran, ihr Stadtviertel zu verschönern

Ein Klischee über Holweide sagt, der Stadtteil sei zerschnitten — entlang der Bergisch-Gladbacher Straße. Dem idyllischen Süden mit Märchensiedlung, Iddelsfelder Straße und den Wiesen steht der Norden mit seinen Reihen an Wohnblöcken entgegen. »Ich kann das nicht bestätigen«, sagt Thomas Gladisch vom Bürger­verein Holweide. Er wohnt selbst nördlich der Bergisch-Gladbacher Straße. »Das Leben spielt sich aber eher südlich davon ab«, sagt sein Vereinskollege Rainer Kohlmeier. »Im Norden gibt es einfach nicht so viel«, sagt Mäggy Ruhkopf, ebenfalls von der Bürgervereinigung. Gastronomie, Geschäfte, Sportmöglichkeiten — viel davon liegt im Süden des Stadtteils.

Das erklärt sich auch durch die Sozial­struk­tur. »Viele Wohnungen hier sind Beleg­wohnun­gen«, sagt Birgit Piccolik. Ihre Bewohner*innen haben die Wohnung oft zugewiesen bekommen, weil sie geflohen, krank oder allein­­­erziehend sind. Piccolik ist Sozial­arbeite­rin im Veedelsbüro Holweide-Nord. Sie stellt Kontakt zu Behörden her, hilft bei der Wohnungssuche oder veranstaltet ein offenes Früh­stück. Bei meinem Besuch zu Beginn der Sommerferien hat gerade ein Mal-Workshop für Kinder dort stattgefunden. Sie haben den Klecksteufel gemalt, das Maskottchen des ­örtlichen Cassiopeia Theaters.

Das Veedelsbüro liegt am inoffiziellen ­Zentrum des Holweider Nordens, dem »Rewe-Platz« an der Ecke von Piccoloministraße und Gerhart-Hauptmann-Straße. »Warum der so heißt, weiss niemand genau«, sagt Piccolik. Früher habe hier eine Frau ehrenamtlich Essen ausgeschenkt, sagt sie. Die Frau war Teil der Holweider Selbsthilfe, die in den 70er Jahren gegründet wurde, als sich der Sozialstruktur im Zuge der Deindustrialisierung veränderte. Neben einer Essensausgabe unterhielt sie ein Möbellager. Mittlerweile hat die Diakonie die Aufgaben des Vereins übernommen. »Die Frau hieß Elsa«, sagt Birgit Piccolik. »Mittlerweile lebt sie im Pflegeheim, aber es gibt die Idee, diesen Ort ›Elsas Plätzchen‹ zu nennen.«

Für Kölner Plätze ist der Rewe-Platz gelungen. Viele Bänke stehen in kleinen Gruppen zusammen, Bäume spenden Schatten. In der Mitte des Platzes steht ein Bücherschrank. Aufgestellt hat ihn der Runde Tisch Holweide. »Viele haben gesagt, diese Idee sei vollkommener Blödsinn«, erzählt Lis Nörgaard vom Runden Tisch. Manche hätten sogar gelästert, dass im Norden Holweides nicht gelesen würde und vor Vandalismus gewarnt. »Der Bücherschrank wird von Ehrenamtlichen betreut«, ­erzählt Birgit Piccolik. »Er ist immer gepflegt.« Auch bei meinem Besuch schaut eine der ehren­amtlichen Helferinnen vorbei und wirft ­einen kurzen Blick in den Schrank.

Der Bücherschrank ist nicht die einzige ­Zusammenarbeit zwischen Veedelsbüro und Rundem Tisch. Das Ziel des Runden Tisches sei es, dass sich die Holweider*innen stärker für den eigenen Stadtteil interessieren, meint Lis Nörgaard. Aber gerade im Norden Holweides stieß die Initiative bislang auf geringere Resonanz. Also engagiert sie sich hier stärker. Gemeinsam mit Freiwilligen kümmert sich der Runde Tisch um Blumenbeete an Baumscheiben, im Mai fand auf dem Rewe-Platz ein gemeinsames Trödelfest statt. Und bei unserem Besuch verteilt Lis Nörgaard fleißig Flyer für das Lesefest, das im Juli erstmals stattfindet. »Über Kinder und Jugendliche kann man gut Kontakt herstellen«, sagt sie.

Was gemeinsame Aktionen erreichen können, ist ein paar hundert Meter weiter östlich sichtbar. Dort liegt der Jugendtreff Picco. Dort haben Kinder und Jugendliche eine Brach­fläche in einen Naschgarten verwandelt. 2018 wollte die Stadt den Garten dann in Parkplätze umwandeln. Die Jugendlichen wehrten sich und hatten Erfolg — der Naschgarten existiert noch heute.

Christian Werthschulte

 

 

Lost Place mit hoher Miete

Mit dem »Baumwollquartier« bekommt Holweide ein neues, teures Wohnviertel

Die Baumwollbleicherei in Holweide steht seit dreizehn Jahren still. Seither übte das weitläufige Gelände mit den verfallenden Fabrikhallen aus Backstein und dem markanten Schornstein nicht nur auf Investoren großen Reiz aus: »Wir hatten hier einige ungebetene Besucher, seit die Fabrik in Lost-Places-Foren im Netz aufgetaucht ist«, sagt Tillmann Römmler bei einer Führung über das Gelände. Römmler ist Projektleiter bei Quarterback Immobilien, die das Areal in den kommenden Jahren zum »Baumwollquartier« entwickeln wollen: Rund 250 Wohnungen, eine Kita und ein Café sollen hier entstehen, teils in den denkmalgeschützten Häusern und Hallen, teils in Neubauten. 

Überall liegen Glassplitter und Schutt herum, Arbeiter beginnen bereits mit dem Aufräumen. In einer Halle stehen noch vier mächtige, mit Graffiti übersäte Kugeln, in denen die Baumwolle gekocht und gewaschen wurde. Römmler zeigt eine versteckte Öffnung, durch die sogar noch Baumwollreste in einem Kugelwascher zu sehen sind.

Was passiert nun mit diesen Zeugnissen der Kölner Industriegeschichte? Ein oder zwei Kugeln wolle man erhalten und »translozieren«, sagt Römmler, vielleicht werde man sie aufschneiden und für Wasserspiele oder als Hochbeete nutzen. Gerade gebe es einen Ideenwettbewerb. Man wisse, welche Bedeutung die ehemaligen Mühlen an der Strunde und die daraus hervorgegangene Fabrik für die Identität des Stadtteils habe. »Die Baumwollbleicherei ist bedeutend für die Mühlengeschichte Kölns und das letzte Zeugnis der einst großen Kölner Textilindustrie«, bestätigt Walter Buschmann vom Verein Rheinische Industriekultur am Telefon. Grundsätzlich begrüßt er, dass die Baumwollbleicherei zu Wohn­raum umgebaut und teils erhalten wird. Doch Buschmann sähe es gern, wenn Quarterback noch mehr Substanz erhalten und die Neubauten die Ansicht der Denkmäler nicht verdecken würden.

Im Mai informierte Römmler die Anwohner über das Bauvorhaben. Er erzählte, dass insgesamt 15.000 Quadratmeter Fläche entsiegelt und die Dächer der Neubauten begrünt und mit Photovoltaik ausgestattet werden, dass die Strunde aus ihrer Einfassung herausgeholt und auch für die Nachbarschaft besser »erlebbar« gemacht werden soll. Mit Sorge fragten die Anwohner allerdings, was das neue Quartier für den Autoverkehr im Viertel bedeute. Verständlich, so Römmler. Jedoch: Gerade einmal 0,7 Stellplätze pro Wohnung seien in der neuen Siedlung vorgesehen, die abgesehen von der Zufahrt zur Tiefgarage vollkommen autofrei sei. Dafür biete man Carsharing und reichlich Fahrradabstellplätze. Ob sich die künftigen Mieter damit zufrieden geben oder ihr Auto einfach in den Nebenstraßen abstellen, wird sich zeigen.

»Die Fabrik in Wohnungen umzuwandeln und zu verdichten ist toll und sinnvoll«, sagt der Architekt Bodo Marciniak, der selbst in der Nachbarschaft wohnt. Dass aber keine einzige geförderte Wohnung entsteht, sei ein »absolutes No-Go«. Eigentlich schreibt das Kölner ­»kooperative Baulandmodell« bei Neubauten mindestens 30 Prozent geförderten Wohnraum vor. Dass dies beim Baumwollquartier keine Anwendung findet, begründet die Stadt mit dem Planungsrecht: Es liege kein Bebauungsplan zugrunde. Römmler wiederum sagt, wegen des teuren und aufwändigen denkmalgerechten Umbaus wären geförderte Wohnungen in diesem Fall nicht wirtschaftlich ge­wesen, leider.

Quarterback hat das Baumwollquartier bereits an das Unternehmen Deutsche Wohnen verkauft. Es gebe schon viele Miet-Interessenten, auch aus dem Viertel, sagt Römmler. Wie hoch die Mieten sein werden, wisse er noch nicht. »Ich bin auch gespannt«, sagt er. Römmler will selbst ins Baumwollquartier ziehen.

Anne Meyer

 

 

Zwischen Wiesen und Hochhäusern

Viele Wege führen nach Holweide, aber nur ­einer ist der Schönste: entlang von Wiesen und Bächen, durch die Märchensiedlung bis zum Seeufer. Wir sind ihn mit dem Rad gefahren, als ausgedehnter Nachmittagsspaziergang funktioniert er aber auch.

Unser Startpunkt ist am (1) Mülhei­mer Stadtpark. Von dort aus geht es erst südlich nach Buchforst und dann in Richtung Buchheim. Entlang  der ­Weißen Stadt fahren wir Richtung Osten und über­queren die Frankfurter Straße. Hinter der KVB-Halte­stelle überqueren wir die Gleise nach rechts und sind an unserer ersten Wegmarke: der  (2) Strunde. Der in Bergisch-Gladbach entspringende Bach fließt hier oberirdisch auf einem Damm in einem Landschaftsschutzgebiet. Wir folgen seinem Lauf, landen auf einem Feld — und sind doch noch mitten in der Stadt. Nach ein paar hundert Metern fahren wir links zur Herler Mühle.

Von der  (3) Herler Mühle aus geht es entlang der Straße über die Autobahn zum  (4) Kreuzwasser, einem Ort, der in Köln einmalig ist. Hier kreuzen sich die Strunde und der Faulbach auf zwei verschiedenen Ebenen, bevor sie ein paar hundert Meter entgegen der Fahrtrichtung schließlich zusammenfließen. An dieser Stelle tummeln sich viele Fische im Wasser und so konnten wir bei unserem Trip einen Reiher beim Jagen beobachten. Dann fahren wir durch den Park an der (5) Isenburg vorbei weiter am Bach entlang. Bei der Pizzeria geht es nach rechts, hier wird demnächst das  (6) Baumwollquartier entstehen. Wir fahren in Richtung Süden, dann links und nähern uns von der Rückseite aus dem  (7) Klinikum Holweide.

Die  (8) Märchensiedlung erreicht man durch einen kleinen Pfad direkt an der Haltestelle Neufelder Straße: die Dornröschenhecke. Am besten ist es, das Rad hier stehen zu lassen und zu Fuß durch die kleinen Gässchen und Straßen zu gehen, die Anfang der 1920er Jahre vom Architekten Manfred Faber geplant wurden. Nach dem Besuch geht es über die Bergisch-Gladbacher Straße weiter in Richtung Norden.
Der  (9) Rewe-Platz ist das Herz von Holweide-Nord (Seite 36). Die Bänke bieten sich für eine kurze Pause an. Der Norden des Veedels ist geprägt durch die Siedlungsarchitektur der GAG aus den 60er Jahren, die wir bei unserem weiteren Trip über die Gerhart-Hauptmann-Straße und den Kuhzäller Weg verlassen. Letzterer ist eine der ältesten Straßen des Stadtviertels und war lange Namensgeber für unsere letzte Station, die Kuhzäller Heide, die heute als Dellbrücker Heide bekannt ist.

In der  (10) Dellbrücker Heide haben wir Holweide offiziell verlassen. Früher wurde das Gelände militärisch genutzt, wovon die betonierten Wege zeugen. Heute grast hier eine Ziegenherde und es haben sich seltene Eidechsen und Schmetterlinge angesiedelt. Wir verlassen die Heide am nordöstlichen Ende und stehen vor der Wahl: Entweder machen wir ein kleines Picknick am Höhenfelder See oder fahren mit dem Rad noch etwa 10 Minuten zur  (11) Diepeschrather Mühle, wo man gut — aber nicht unbedingt günstig — essen kann.

Länge: ca. 12 km  
Fahrrad: 1 Stunde
zu Fuß: 3 Stunden