Raghubir Singh, Beschäftigte in einem Haushalt, Kalkutta, 1986, © Succession Raghubir Singh

Modernismus in Kolkata

Der Fotograf Raghubir Singh ist im Ludwig zu sehen

Rasa heißt in Sanskrit »Geschmack, Essenz, Stimmung«. Das Wort steht für den Genuss, ein gelungenes Kunstwerk wahrzunehmen. Für den indischen Fotografen Raghubir Singh (1942–1999) war das ein Argument für die Farbfotografie, die im Westen bis in die 1970er Jahre vor allem in die Werbung gehörte und als wenig kunstfähig galt.

Die Ausstellung »Raghubir Singh. Kolkata« vermittelt in zwölf Bildern aus der Sammlung des Museum Ludwig die Entwicklung des Fotografen von den 1960er bis in die 80er Jahre. Tatsächlich handelt es sich sogar um eine Doppelausstellung. Fünf in einem eigenen Raum präsentierte, schwarzweiße Indien-Fotos von Henri Cartier-Bresson kontrastieren mit Singhs Herangehensweise. Singh kannte und schätzte die exquisiten Aufnahmen des berühmten französischen Kollegen seit seiner Jugend. Zugleich war er überzeugt, dass der »westliche Modernismus in der Fotografie beizeiten durch nichtwestliche Künstler erweitert werden wird, dank einer subtilen Missachtung der philosophischen Haltung des Westens und der damit verbundenen Spielregeln«.

Mit dem Westen, seiner philosophischen Haltung und den damit verbundenen Spielregeln war Singh bestens vertraut. Er wuchs in Jaipur auf, lebte später in Hongkong und Paris, London und New York. Seine Fotos erschienen in internationalen Medien wie dem National Geographic und der New York Times. Seit Anfang der 1960er Jahre kehrte er immer wieder in die Metropole Kolkata (ehem. Kalkutta) zurück, die bis 1911 Hauptstadt der Kolonie Britisch-Indien war.

Sein Kamerablick richtete sich ebenso auf das koloniale Erbe wie auf die Spaltung der indischen Gesellschaft durch das Kastensystem. Eine Aufnahme aus den frühen 70ern zeigt den ruinösen, von Tieren bewohnten Innenhof eines herrschaftlichen Hauses. Straßenfotografien der 80er verdichten Alltagsituationen zu durchkomponierten, farbgesättigten Tableaus. Besonders sinnfällig ist eine häusliche Szene: Links im Bild sitzt ein Publikum, rechts im Bild stehen, getrennt durch eine Wand, zwei Frauen. »Angehörige einer Mittelschichtsfamilie aus Nordkalkutta und zwei Bedienstete lauschen Tagore-Liedern«, lautet Singhs Bildunterschrift. Es ist ein Bild der sozialen Ungleichheit, aber auch der Selbstermächtigung der Hausangestellten, an einem Rasa-Moment der Kunst teil­zuhaben.

Museum Ludwig, Di–So 10–18 Uhr, 1. Do. im Monat 10–22 Uhr, bis 6.11.