Lo-Fi Sci-Fi: »Neptune Frost« von Saul Williams

Widerstand im Futur

Das Afrika Film Festival feiert seinen Geburtstag mit cineastischen Zukunftsvisionen

Zu seinem 30. Geburtstag blickt das Afrika Film Festival zurück nach vorn. »Afrikanische Zukunftsvisionen« heißt der Fokus des diesjährigen Jubiläumsprogramms. Gezeigt werden im Rahmen dieses Schwerpunkts Klassiker aus früheren Ausgaben des Festivals wie »Yeelen« (1987) von Souleymane Cissé , »Sankofa« (1993) von Haile Gerima oder »Pumzi« (2009) von Wanuri Kahiu, die zu ihrer Entstehungszeit Themen und Probleme aufgegriffen haben, die heute aktueller denn je erscheinen, sowie einige aktuelle Filme, die afrofuturistische Visionen entwerfen. Der Begriff Afro­futurismus ist ungefähr so alt wie das Festival selber. Geprägt wurde er, um zu beschreiben, wie Schwarze Künstler*innen mit ­Science Fiction und (Musik-)Technologie versuchen, die Existenz Schwarzer Menschen im Kapitalismus zu beschreiben.

Dies alles wurde rund ein Vierteljahrhundert auf Kunst- und Theoriepanels diskutiert, bis ­Marvel 2018 »Black Panther« in die Kinos brachte und der Begriff so in den Mainstream schwappte. Die Geschichte des fiktiven afrikanischen Königreichs Wakanda, das dank eines seltenen Rohstoffs ­autark und auf höchstem technologischen Niveau existieren kann, wurde ein Welterfolg. Aber so sehr der Film auch von Schwarzen Communities gefeiert wurde, so problematisch bleibt seine Verknüpfung von einer latent naiven, technophilen Utopie mit einer mythischen, durch Aristokratie und Hierarchie geprägten afrikanischen Vergangenheit.

Wenige Wochen bevor im ­November die Fortsetzung »Black Panther: Wakanda Forever« in die Kinos kommt, zeigt das Afrika Film Festival »Neptune Frost«, die erste Regiearbeit des amerikanischen Musikers und Spoken-Word-Artists Saul Williams. Auch in »Neptune Frost« ist die Verfügungsgewalt über Rohstoffe der Ausgangspunkt. Es geht um Coltan, ein Mineral, das für Elektronenkondensatoren benötigt wird, ohne die vom Herzschrittmacher übers Smartphone bis zur Drohne kaum ein technologisches Gerät funktionieren kann. Aber die Coltan-Minen, das macht der Film gleich zu Beginn klar, gehören nicht den Schwarzen Menschen, die dort arbeiten. Einer von ihnen, Tekno, wird von einem Aufseher umgebracht. Sein Bruder Matalosa (gespielt vom Musiker Bertrand Ninteretse) verlässt die Mine daraufhin und schließt sich einer Gruppe von Widerstandskämpfer*innen an. In deren Camp trifft er auf Neptune (Cheryl Isheja), eine transidente Hacker*in, die von »der Autorität« gesucht wird, die in dem namenlos bleibenden afrikanischen Staat einen ewigen Krieg führt. »Hacke den Landbesitz, das Handelsrecht und das Eig­en­tum; hinterfrage die Geschäfte von Sklaverei und freier Arbeit und ihrem Verhältnis zur heutigen Welt«, spricht eine Stimme zu ihr, und diesen Plan setzt sie in die Tat um. Der Widerstandsgruppe gelingt es schließlich, die Frequenzen mit ihrer Botschaft zu fluten, was den unausweichlichen Gegenschlag der Autorität nach sich bringt.

»Neptune Frost« geht aber nicht in seinem — etwas simpel gestrickten — Plot auf. Die Gruppe um Matalusa und Neptune experimentiert mit neuen Formen von Gemeinschaftlichkeit. Sie beschreiben ihre Geschlechtsidentität nicht in binären Gegensätzen, sie orientieren sich mithilfe der Mythen ihrer Vorfahren und modernen Kommunikationstechnologien. Und anstatt die herrschende Amtssprache zu übernehmen, unterhalten sie sich in einer Mutation aus Kinyarwanda, Englisch, Suaheli und Französisch. Damit bildet der Film die Situation der Filmcrew ab. Ursprünglich sollte »Neptune Frost« in Burundi gedreht werden, aber ein Teil des Teams floh nach der Niederlage der Protestbewegung 2015 nach Ruanda, wo die Dreharbeiten statt­finden konnten. Hier haben sie die Szenen schließlich gemeinsam entwickelt und das Drehbuch von Saul Williams in eine Sprache übersetzt, in der sie sich wiederfinden konnten.

Kostümdesigner Cedric Mizero kleidet diese Ansammlung von Außenseiter*innen in recycelte Mother­boards und Platinen-Sandalen mit androgynem Schnitt, was dem Film einen psychedelischen Lo-Tech-Look gibt. Begleitet werden die Bilder von einem Soundtrack, den Saul Williams selbst geschrieben hat. Verspielte Modular-Synthesizer-Improvisa­tionen treffen dabei auf seinen Spoken-Word-Gesang. Zum Großteil besteht der Soundtrack aus Remixen seines Albums »Martyr Loser King«, die auf traditionelle Gesänge und Drum-Pattern treffen. Drums seien die ursprüngliche Form der Kommunikation, sagt eine Figur zu Beginn des Films.

Denn Afrofuturismus ist in »Neptune Frost« eine kollaborative Erzählung von unten, die versucht, Wege aus der ausbeuterischen Gegenwart des afrikanischen Kontinents zu zeigen, aber zugleich deutlich macht, dass eine Rückkehr zu präkolonialer Größe unmöglich ist.

Flankiert wird »Neptune’s Frost« von einem Afrofuturismus-Kurzfilmprogramm, in dem die Physik als Kronzeugin für »Black Excellence« herhalten muss (»Dark Matter«), ein Zeitreisender mit seiner Mutter über seine Erziehung diskutiert (»Twice as Good«) und eine Weltraumfahrt zum rassitischen Horrortrip wird (»X US«).

Do 15.9.– So 25.9., div. Orte
Infos: afrikafilmfestivalkoeln.de