»Die Brieffreundschaft«: Korrespondenz mit Mörderinnen, Foto: Markus&Markus

Richtungswechsel auf und abseits der Bühne

Studiobühne: Das Festival »Theaterszene Europa« wird Kollektiv-Projekt

Seit 1987 findet das von der Studiobühne ausgerichtete Festival »Theaterszene Europa« statt und gehört damit zu den ältesten Theaterfestivals Deutschlands. Dieses Jahr allerdings wird mit einer Tradition gebrochen.

Wo bislang eine Kooperation eines deutschen Ensembles und eines Ensembles aus dem Ausland die Gestaltung des Festivals übernahm, finden sich 2022 Protagonist*innen aus gleich fünf Nationen zusammen. Die Studiobühne nennt das »Kollektives Kuratieren«. Ein Prinzip, das darauf abzielt, Rahmen und Programm nicht im Alleingang zu dirigieren, sondern die Akteur*innen in den Prozess einzubeziehen und ein Gemeinschaftsprojekt zu gestalten. Doch es steckt noch mehr dahinter, wie Dietmar Kobboldt, Leiter der Studiobühne, verrät: »Das bi-nationale Arbeiten ist ein bisschen aus der Zeit gefallen, da die darstellende Kunst mittlerweile ex­trem international verknüpft ist. Außerdem schafft dieser Ansatz eine größere Bandbreite, die in einer Zweier-Konstellation vergleichsweise schwer zu erreichen ist.«

Markus&Markus Theaterkol­lek­tiv aus Österreich, Pinchbeck & Smith aus Großbritannien und Thermoboy FK und Deter & Müller aus Deutschland sind Weggefähr­ten aus vergangenen Kooperationen mit der Studiobühne. Sie waren es, die damit beauftragt wurden, eigene Stücke auf dem Festival zu präsentieren, aber auch ihrerseits spannende Gruppen aus der Welt der darstellenden Künste vorzuschlagen. Damit hat jedes der Kollektive auch die Möglichkeit, den Gestaltungsraum überhaupt zu prägen, wen sie gerne treffen und mit wem sie zusammen arbeiten wollen. Ein Kulturfestival ist eben auch immer ein bisschen Klassentreffen und Netzwerk-Event. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen! Es ist eine kontemporäre­ ­Melange aus Theaterstücken, Film, Performances, Tanz und Soundinstallationen, die über sieben Tage im Orangerie Theater aufgeführt werden.

Das deutsche Ensemble Analog zeigt seinen Experimentalfilm »Camping Paraìso**« über den Schwebezustands eines Autors zwischen Leben und Tod nach ­einem Autounfall. In »A seventh man« von Pinchbeck & Smith wird vor jeweils nur sieben Zuschauern die Reise von drei Wanderarbeitern auf der Suche nach einem besseren Leben verfolgt. Die ebenfalls britische Produktion »Dead Cats« widmet sich dem Thema der Lüge, das in einem Raum von Macht, Kontrolle, Protest und Verschwörung seziert wird. Mit »We A Choir« zwingen Deter & Müller zum Zuhören und erzeugen mithilfe der Büsche und Bäume des Orangerie Theaters einen kollektiven Klangteppich. Das Schweizer Bonzo Kollektiv spürt im Stück »Ernst« den Gewohnheiten des Großvaters der zwei Ensemblemitglieder Denise und Christine Hasler auf Grundlage seiner Tagebücher nach. In »Die Brief­freundschaft« führen Markus&Markus aus Österreich Korrespondenz mit realen Frauen, die einen Mord begangen haben. Die schwedische Künstlerin Alma Söder­berg studiert mit dem Musik- und Tanz­stück »Deep Etude« die Segmente von Rhythmus anhand des Körpers. Die Performance »Death is certain« von Eva Meyer-Keller lässt Kirschen durch Haushaltsgegenstände zu Tode kommen, »Future Love« ist eine feministische, visionäre Konzert-Performance, die Geschlechterrollen und traditionelle Beziehungskonzepte auflöst, und Thermoboy FK verwandelt Camille Saint-Saëns »Karneval der Tiere« in einen kostümierten Reigen in Neonfarben.


Die darstellende Kunst ist mittlerweile extrem international verknüpft
Dietmar Kobboldt

Das Festival Line-up ist extrem vielschichtig, ein Ober­thema bei der Zusammenstellung, wie man merkt, nicht wirklich ersichtlich. »Wir haben uns höchstens nach dem Kriterium der Vielfalt ausgerichtet, weil man die ­Ensembles in ihrer Ästhetik überhaupt nicht vergleichen kann«, sagt Dietmar Kobboldt. Ein Programmpunkt, der keine Performance ist, trotzdem aber einen wichtigen Aspekt aus der Lebensrealität Kulturschaffender aufgreift, ist die Gesprächsrunde »Lernen aus dem Lockdown?«. Hier können sich die Beteiligten des Festivals mit interessierten Zuschauer*innen und Kolleg*innen unter der Moderation von Wilma Renfordt vom Impulse Theater Festival und dem studiobühneköln-Dramaturg und Mit-Kurator von »Theaterszene Europa« Tim Mrosek über ihre Erfahrungen, Ideen und Perspektiven austauschen.

Dass die Studiobühne verschiedene Nationen unter dem Dach eines Festivals vereint, wirkt beinahe ironisch vor dem Hintergrund, dass sie selbst immer noch heimatlos ist. Eine kurze Einordnung: 2021 musste die Studiobühne ihre Spielstätte in der Alten Mensa verlassen. Die Stadt Köln hatte aus Brandschutzgründen die Betriebsgenehmigung nicht verlängert. Die Universität selbst war gegen dieses Urteil machtlos. Schnell fand sich für die Büroräumlichkeiten ein alternativer Standort in einem Anwesen in Marienburg. Die Villa im Süden eignete sich hervorragend für die administrativen Aufgaben des Tagesgeschäfts und hat sich mittlerweile sogar zu einem interdisziplinären Kreativlabor entwickelt, in dem von Kulturschaffenden gemeinsam Ideen gesponnen werden. Doch es gibt ein entscheidendes Problem: Die Räumen verfügen über keine Bühnen, keine Probemöglichkeiten.

»Die Uni stellte uns ein Kontingent zur Verfügung, um Proberäume anzumieten. Dadurch haben wir mittlerweile in allen möglichen Häusern Kölns für unsere Produktionen residiert. Wir sind wahnsinnig dankbar für die Gastfreundschaft, die uns entgegengebracht wurde«, erzählt Dietmar Kobboldt. Auch die nächste Spielzeit wird noch in diesem Übergangsstadium über die Bühne gehen. Das Team der Studiobühne sei aber konstant auf der Suche nach geeigneten Interimsspielstätten und hat bereits einige Objekte im Auge. Dietmar Kobboldt hält sich aus verständlichen Gründen bedeckt, doch die Perspektive sei vielversprechend, dass man in diesem Jahr noch eine längerfristige Übergangslösung finden werde.

Es ist gesichert, dass die Studiobühne als ältestes Universitätstheater Deutschlands irgendwann in die Alte Mensa zurückkehrt. Diese wird derzeit noch kernsaniert. Bis sie wieder bezugsreif ist, werden allerdings noch mehrere Jahre ins Land gehen. Sich immer wieder auf neue Umstände an verschiedenen Orten einzustellen, so lange nach einem neuen Zuhause Ausschau zu halten, das kostet Energie. Das Festival »Theaterszene Europa« ist eine willkommene Konstante. Und schließlich, nach einer Odyssee durch die Kulturhäuser Kölns, stehen die Chancen gut für die langersehnte Ankunft.

Orangerie Theater, 23.–30.9.