Pressekonferenz zur Gründung des Filmbüros: Werner Nekes, Rosemarie Schatter, Christoph Hübner u.a.

Staatsknete für die Kunst

Das Filmbüro NW feiert seinen 42. Geburtstag mit einer überbordenden Buchveröffentlichung

In analogen Zeiten war der Umgangston auch nicht freundlicher: »Glauben Sie allen Ernstes, dass wir uns aus Angst, das nächste Mal bei der Vergabe von Staatsknete, nicht berücksichtigt zu werden, mundtot machen lassen? Glauben diese erfolglosen Arschkriecher, sich durch Förderung des ausgewogenen langweiligen Mittelmaß (sic!), der potentiellen Konkurrenz dauerhaft entledigen zu können?«, zwei Sätze aus einem wahrhaften Shitstorm des Filmemachers Wilhelm Hein, den er 1990 komplett in Versalien abgetippt — dem Schriftbild-Äquivalent zum Dauerschreien — und in Form einer Collage mit Lenin- und Stalinbildern verschickt hat. Er findet sich dankenswerterweise als Faksimile in »Achtung, Achtung, hier spricht das Filmbüro! 42 Jahre unabhängiger Film« wieder, einem über 400-seitigen Mammutwerk in Din-A4-Größe, das (wie man den Grußworten entnehmen kann) eigentlich zum 40. Geburtstag der Filmförderung herauskommen sollte — aber dann kam Corona in die Quere.

Die Anzahl der Texte in üblicher Grußwortprosa hält sich in Grenzen in dieser angenehm anarchischen Textsammlung. Das passt zum künst­lerischen Fokus von Deutschlands zweitältester regionaler Filmförderung — nur Hamburg war schneller —, die schon in ihrer Frühphase solch unkategori­sier­bare Freigeister gefördert hat wie Christoph Schlingensief, Helge Schneider und Werner Nekes. Alle drei eng mit Mülheim an der Ruhr verbunden, der ersten Heimat des Filmbüros, ehe es 2008 nach Köln in den Mediapark umzog.

»Ich glaube, wenn das Filmbüro nicht gewesen wäre, dann wär auch nichts anderes mit uns gewesen«, schreibt Helge Schneider in einem wunderbaren Text, der vor allem davon handelt, dass er Menschen in Mülheim im Eduscho trifft. Dass auch viele Filmschaffende auftauchen, die man nicht gerade mit NRW verbindet (Harun Farocki, Monika Treut, Thomas Heise), erklärt sich teilweise daraus, dass das Filmbüro in den 80er Jahren eine der ganz wenigen Anlaufstellen in Deutschland war, wenn es um die Förderung von nicht kommerziell ausgerichtetem Filmemachen ging.

»Achtung, Achtung hier spricht …« kann überfordern, viele Namen und Anspielungen, die nicht jeder kennt und nachvollzie­hen kann; da hilft es, beim ­Lesen den Daumen im Glossar zu halten, um Namen nachzuschlagen und nach­zuvoll­ziehen, wo und in welchem Kontext die Texte erstmals erschienen. Als Materialsammlung für die Filmgeschichte NRWs ist das Buch aber jetzt schon ein Standardwerk.

Christian Fürst, Markus Seibert (Hg.): »Achtung, Achtung, hier spricht das Filmbüro! 42 Jahre unabhängiger Film« Strzelecki Books, 416 Seiten, 19,80 Euro