Weiterhin angriffslustig: Alice Schwarzer

Alice Schwarzer

Sabine Derflinger porträtiert geschickt die streitbare und ebenso umstrittene Feministin

Schon die Begrüßungshöflichkeiten im Kölner TV-Studio sind vergiftet. Dann geht es gleich in den harten inhaltlichen Clinch zwischen den beiden gut gefönten, scharfzüngigen Frauen. Das gänzlich unmoderierte und im Februar 1975 im WDR gesendete Streitgespräch zwischen Alice Schwarzer und der dezidierten Anti-Feministin Esther Vilar schrieb deutsche Mediengeschichte und spaltete das Publikum, nicht nur weil Schwarzer ihrer Kontrahentin ­einen Prozess androhte und sie wegen ihrer Pauschalisierungen als Faschistin disste. Es ist eine glänzende Idee von Regisseurin Sabine Derflinger und Editorin Lisa Zoe Geretschläger, Ausschnitte aus dem Streitgespräch an den Anfang ihres Films zu setzen. So wird ohne Umstände der harsche diskursive Stil der Zeit ebenso deutlich wie Präsenz, Brillanz und Angriffslust einer Frau, die bald zum Medienliebling avancierte und parallel gerne (auch ausdrück­lich wegen ihres Aussehens) als Hexe diffamiert wurde. Einige ­Monate nach dem Gespräch wird Schwarzer mit »Der kleine Unterschied und seine großen Folgen« ein Buch veröffentlichen, ein im Umfang eher schmalbrüstiges Pamphlet gegen die »sexuelle Revolution«, das zum wirkmächtigen weltweiten Longseller wurde — und auch die Autorin dieses Textes prägte.

Die gestandene Filmemacherin Derflinger, die 2020 schon die österreichische Feministin Johanna Dohnal in einem preisgekrönten Dokumentarfilm gewürdigt hat, entwirft ihr Schwarzer-Porträt als vielstimmige Collage aus Archivmaterialien und für den Film gedrehten Begegnungen von Schwarzer mit Mitstreiter*innen, Freund*innen und Kolleg*innen in der Emma-Redaktion. Parallel macht sie Ausflüge in die französische Frauenbewegung der 70er Jahre, die Schwarzer geprägt hat, und arbeitet die von der Emma ­gepushten, zum Teil höchst umstrittenen Themenkomplexe Abtreibung, Prostitution, Verschleierung, Pornografie und Schönheits­diktat ab. Das derzeit besonders umkämpfte Sujet Transgender kommt leider nicht vor, vermutlich weil der Streit erst nach der Drehzeit im Zuge der parlamentarischen Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz so richtig hochschlug. Die Kritik an Schwarzer, auch aus Teilen der feministischen Bewegung, und wie sie und ihr Umfeld damit umgehen, lässt der Film nicht aus. Dabei wird Schwarzer weder bloßgestellt — was sich viele vermutlich wünschen würden — noch verklärt. Für ein Porträt eine überzeugende dokumentarische Strategie.

A/D 2022, R: Sabine Derflinger, 100 Min. Start: 15.9.