Immer auf der Suche nach dem guten Geschmack: RSS Disco

Tradition versus Trend

Wie man Hits abseits der Hypes macht, beweisen unsere drei Kurzformate des Monats

 

Man kann behaupten, dass es in der Clubszene stets zwei Lager gegeben hat, wobei dieser Zustand in der elektronischen wohl am ausgeprägtesten ist. Auf der einen Seite die Traditionalisten, denen es um das Bewahren überlieferter Werte geht, auf der anderen jene, die sich an neuen Trends und Hypes abarbeiten. Ganz ohne Wertung gesprochen: Die einen gehen seit Jahren zur selben Party und freuen sich über Tracks von Ellen Allien und Matthew Johnson, ganz so wie sie es schon 2007 ­taten. Die anderen hingegen sind neugierig-suchende Gemüter, ­immer auf der Suche nach Novelty und Weiterentwicklung.

Der zweiten Gruppe ist es zu verdanken, dass es in den letzten Jahren um Tanzmusik, die maghre­binische und arabische Einflüsse aufgenommen und synthetisiert hat, zuerst lauter, dann wieder etwas leiser geworden ist. So hörte man lange nichts von Acid Arab und Konsorten. Der große Hype, der Mitte des letzten Jahrzehnts herrschte, ist abgeflaut. Dabei produzieren Leute wie Versatile-Labelchef Gilbert Cohen, oder auch Judah Warsky weiterhin tolle Musik. Die beiden Franzosen, die Teil der House-Group Boys in the Oud waren (benannt nach einem arabischen Saiteninstrument), kündigten dieser Tage ein gemein­sames Album an und sendeten dafür eine Single durch die Kanäle: »tout le temps tout le temps«.

In der Originalfassung hört man einen Beat, der entfernt an den syrischen Dabke-Tanz erinnert, dazu die prominente Stimme Warskys, die hier sehr poppig-songmäßig gemixt ist. Man zielt nur nachrangig auf den Dancefloor, die Single selbst soll erstmal radiotauglich auf das Album vorbereiten. Selbstverständlich ist es auch als DJ-Tool für die Sommersaison gedacht; wenn nicht im Radio Edit, dann in einem der Remixe. Alice Lewis‹ Version nimmt aber erstmal Tempo raus, addiert romantische Synthspuren und erinnert somit entfernt an eine alte »Kitsuné«-Platte. Zielsicherer geht es im I:Cube-Remix zu. Da gibt es kein Federlesen, sondern klassischen (Chicago-)House-Sound, mit Filter auf der Hi-Hat, einer sanft-abgedämpften Kick und ­einem Wechselbad aus heißen und kalten Tönen. So ist die Single allemal eine Erinnerung nicht ­immer den Trends hinterherzulaufen und abseits der Main-­Kanäle zu lauschen.

Selbiges gilt für das Hamburger Trio RSS Disco, das sich seit seinem Auftauchen vor über zehn Jahren selten von Hypes beeinflusst gezeigt hat, sondern sein Ding durchzieht. Dementsprechend enga­gieren sie für die Mini-EP »Mooncake« keinen der heiß-gehandelten Namen als Remixer*in sondern lieber eine Legende des guten Geschmacks: Prins Thomas. Der Norweger liefert gleich zwei Remixe: Einmal den »Diskomiks« und dann die »Prins Thomas’ short version for less fun«. So viel weniger Spaß hat man garantiert gar nicht. Die kürzere Version wirkt im Gegenteil konzentrierter, verdampft nicht im Weit der Space-Disco-Adaption und neigt nicht zur Formlosigkeit. Beide Remixe verstehen es, aus dem ruhig gleitenden 80er-Synth-Pop-Original eine Tanzbarkeit rauszufiltern, die eh schon angelegt ist im Electro-Beat.

Bloß über die freie Assoziation eines ähnlich klingenden »Ploing«-Sounds ist der Produzent K-Lone mit den Hamburgern verbunden. Der Bristoler Produzent hat es aber nicht bei diesem markanten Kontra-Ploing belassen, sondern eine ganze Nummer daraus gebaut: »Squelch« heißt sie und ist eine lustig-süße Future-R’n’B-Nummer, die aber nichts mit anderen Future-R’n’B-Nummer gemein haben möchte. Dafür kommt sie zu strahlend, fast schon im Outfit eines TikTok-­Meme-Sounds daher. Das passt natürlich vortrefflich in das seltsam anmutende Werk des Labelbetreibers, der mit seinem Freund Facta, das immer wieder spannende Label Wisdom Teeth betreibt und schon länger beweist, dass Club nicht bierernst sein muss — bisweilen sogar schön sein darf.

Die B-Seite »With Luv« unterstreicht den Eindruck in der Zwischenzeit nicht nur durch seine Schreibweise des Wortes Love, sondern auch klanglich: Mit simulierten Sounds der chinesischen GuZheng strickt K-Lone eine ­honig-güldene Pop-Nummer, die in den hintergründigen Pads sogar an »Moments in Love« von Art of Noise erinnern mag. Ein Monat mit Hits abseits der Trends, sozusagen.

J. Warsky & G.Cohen, »Tout Le Temps Tout Le Temps« (Versatile Records)

RSS Disco, »Mooncake« (Mireia Records)

K-LONE, »Squelch / With Luv« (Wych)